Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
sich Menschen, die bei vollem Mond das Licht der Welt erblickt hatten, in einen Vlkoslak verwandelten, sobald der Mond erneut voll war und durch die Wälder streiften wie wilde Tiere und arglose Wanderer anfielen.«
Der Doktor schnaubte verächtlich. »Aberglaube!« Doch seine Augen konnten die Neugierde nicht verbergen.
»Kein Aberglaube«, konterte Eva wütend. »Sie sollten nicht vorschnell urteilen, sondern das Ende der Geschichte abwarten, ehe Sie Sich erdreisten, die Menschen hier zu beschimpfen.«
Pickwick hob beschwichtigend die Hände. »Akzeptieren Sie meine Entschuldigung?«
Eva ignorierte sein Gehabe.
»Zwei Wochen nach dem Verschwinden von Bauer Földes«, fuhr sie fort, »ereilte den Bauern vom Nachbarhof das gleiche Schicksal. Als der Knecht, der die Nacht betrunken im Wirtshaus verbracht hatte, am Morgen in aller Frühe den Hof betrat, um seiner Arbeit nachzukommen, fand er Haus und Scheune verlassen vor.«
»Die Tiere waren wieder alle tot?«, fragte ich.
Eva bestätigte dies mit einem Kopfnicken. »Jetzt bekamen es die Menschen mit der Angst zu tun. Und als noch drei weitere Familien aus den umliegenden Höfen auf ähnlich geheimnisvolle Art und Weise verschwanden, wurden die alten Geschichten greifbarer. Wir verriegelten vor Einbruch der Dunkelheit die Fensterläden, verschlossen die Türen, verbarrikadierten das Vieh in den Stallungen. Niemand wusste, womit wir es zu tun hatten. Doch alle wussten, dass
etwas
in der Nacht aus den Wäldern kam. Wir konnten es hören.« Sie hielt kurz inne, um sich zu vergewissern, ob wir sie auch ernst nahmen.
»Dann, vor etwa drei Monaten«, fuhr sie fort, »entdeckte der Bauer Marik in der Dämmerung eine Gestalt am Waldrand, die über den zuckenden Körper eines Rehs gebeugt dastand. Das Wesen ging auf zwei Beinen, und Bauer Marik berichtete uns, dass der menschenähnliche Körper von dunklem Fell bedeckt gewesen war. Große spitze Ohren prangten auf dem Kopf. Das Wesen riss kleine Stücke blutigen Fleisches aus dem Körper des sterbenden Rehs heraus. Dann hielt das Geschöpf inne und schnupperte, als nehme es Witterung auf. Ruckartig drehte es den Kopf in Richtung des erschrockenen Marik und fauchte diesen böse an. Marik, der augenblicklich und ohne lange zu überlegen, die Flucht ergriff, hatte gerade noch genügend Zeit, um das Gesicht des Wesens zu erkennen, das zu seinem Glück nicht die Verfolgung aufnahm, sondern sein blutiges Mahl beendete.« Eva schaute nervös in die Runde am Tisch, bevor sie mit leiser, zitternder Stimme bekannte: »Es war Péter Földes gewesen, der das Reh gerissen hatte.«
Wir alle starrten sie ungläubig an.
»Er ist zu einem Vrolok geworden«, flüsterte sie.
Doktor Pickwick schüttelte resigniert den Kopf, und ich ertappte mich bei dem Gedanken, ihm beizupflichten. Zweifelsohne war dort draußen etwas, das das Vieh und die Menschen getötet hatte, aber unter gar keinen Umständen glaubte ich daran, dass sich die verschwundenen Dorfbewohner in etwas mit spitzen Ohren und Fell verwandelt hatten.
»Eine Art Werwolf?« Tom sah mich ungläubig an.
»Das ist Unfug«, stellte der Doktor fest.
»Es klingt wie Unfug«, gab Eva schließlich zu. »Und dennoch kann keiner von Ihnen leugnen, was eben hier geschehen ist.«
»Niemand möchte das«, sagte Tom mit ruhiger Stimme. Seine Augen blitzten auf, während er die Logik in all dem suchte. »Wir haben alle die Geräusche vernommen. Etwas hat versucht ins Haus zu gelangen. Doch erscheint es mir sehr unangebracht, wilde Vermutungen anzustellen.«
»Da! Hören Sie! Hören Sie!«, fühlte sich Pickwick bestätigt. »Wir müssen die Fakten untersuchen.«
»Ich muss dem Doktor beipflichten«, sagte Tom. »Wir sollten nach draußen gehen und uns ein Bild von der Lage machen.«
Eva bekreuzigte sich schnell. »Nur ein Verrückter würde jetzt das Haus verlassen. Ich bitte Sie, Herr Holland. Ich bitte Sie alle. Ich flehe Sie an, nicht nach draußen zu gehen.« Ihre Augen schimmerten feucht im fahlen Licht des Kaminfeuers. Dann sagte sie schnell etwas zu den Vályis, die uns daraufhin erschrockene Blicke zukommen ließen. Herr Vályi sprang von seinem Schemel auf und stellte sich breitbeinig vor die Tür, wobei er energisch auf uns einredete.
»Er verbietet es uns«, übersetzte Tibor, der die ganze Zeit über mit weit geöffneten Augen schweigend an seinem Platz gesessen hatte. »Wenn wir jetzt nach draußen gehen, werden wir nicht mehr willkommen sein unter diesem Dach.«
Ich
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