Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
ein kranker Mann, der an Herzversagen gestorben ist.« Er hielt kurz inne, um sich sodann an mich zu wenden. »Doktor Prokái untersuchte das Blut des Toten und diagnostizierte eine ihm fremde Art von Anämie.«
»Worauf er Sie kontaktierte«, schlussfolgerte Tom.
»Da ich mich für Bereiche der modernen Wissenschaft interessiere, die andere mit einem Lächeln abtun, bat er mich um fachlichen Beistand«, bestätigte der Doktor, »und berichtete mir von diesem Dorf und seiner Absicht, hier nach den Ursachen der Krankheit zu forschen.«
»Wer war der Tote gewesen?«, fragte ich, nach einer Verbindung des Falles zu diesem Dorf hier suchend.
»Gyözö Szentesi«, antwortete Eva Nagy, »der Bürgermeister von Aghiresu.«
Ich sah sie verwirrt an.
»Ein elender Feigling ist er gewesen«, stellte sie wütend fest. Meinem Bruder zugewandt fuhr sie fort: »Wir haben alle schreckliche Angst, doch dies hier ist unser Zuhause. Man löst keine Probleme, indem man einfach davonläuft.«
Bevor sie weitersprechen konnte, schlug etwas Schweres von draußen gegen die geschlossenen Fensterläden, worauf alle Anwesenden verstummten und einander erschrocken und überrascht ansahen. Herr Vályi sprang augenblicklich vom Tisch auf, rannte zum Fenster, hinter dem das Geräusch zu vernehmen gewesen war, und kontrollierte mit hochrotem Gesicht die Verriegelung. Tamás tat es ihm bei den anderen Fenstern gleich und verließ dann den Raum, um den Rest des Hauses zu kontrollieren. Die Wirtin erstarrte vor Schreck, bekreuzigte sich und faltete die Hände zum stummen Gebet.
»Was ist das?«, fragte der Doktor mit fester Stimme.
Einer Antwort gleich wurden wir eines schabenden Geräusches gewahr, als tasteten sich Krallen von draußen am Fensterladen entlang. In der Stube war es still geworden. Ein leiser Wind heulte um das Haus, und das Holz knisterte im Kaminfeuer. Herr Vályi kehrte zurück und sagte etwas, was uns Tibor übersetzte: »Wir sind sicher. Alle Zugänge sind fest verriegelt.« Er sah mich unsicher und fragend an, andeutend, dass er ebenso wenig verstand, was hier vorging.
Das Kratzen wurde lauter, erschallte nun auch an den anderen Fenstern.
»Es sind viele«, murmelte Eva.
Dann verstummte es so plötzlich, wie es begonnen hatte. Man hörte nur das schwere Atmen der Anwesenden. Tamás betrat den Raum und flüsterte Tibor etwas zu, das wie eine Frage klang. Tibor gab leise Antwort und begegnete mir mit einem erschrockenen Blick.
»Was passiert da draußen?«, fragte ich füsternd.
Wir hörten das laute Wiehern der Pferde, und ich entsann mich der Kutsche, die noch immer vor dem Wirtshaus stand. Die Tiere klangen aufgeregt, wurden immer lauter und unruhiger. Dann hörten wir den Schrei, lang gezogen und voller Verzweiflung. Zweifelsohne war es ein Mensch, der da in Todesangst aufschrie. Jemand trommelte mit den Fäusten wild gegen die Fensterläden.
»Es ist der Kutscher«, stellte Doktor Pickwick fest und schickte sich an, das Fenster zu entriegeln, was Frau Vályi einen markerschütternden Schrei entlockte und die beiden Männer auf den Doktor zustürmen ließ, um ihn an seinem Vorhaben zu hindern. Schimpfend fügte sich Pickwick ihnen.
In Gedanken sah ich den Kutscher vor mir, einen Mann in den Vierzigern, mit Schnauzbart und fettigen Haaren, wie er, in seinen dicken Mantel eingehüllt, auf dem Bock saß und die Pferde mit schnalzenden Lauten antrieb. Jetzt drangen Schreie an unsere Ohren, die nur erahnen ließen, was mit ihm geschah.
»Wenn wir die Tür öffnen«, sagte Eva leise, »werden sie auch uns anfallen.«
»Was ist da draußen?«, wollte Tom wissen.
»Vrolok«, sagte Frau Vályi und bekreuzigte sich. »A Hallál.«
Das Kratzen war erneut an den Fensterläden zu hören. Das panische Wiehern der Pferde löste die Schreie des Kutschers ab. Ich glaubte, schlurfende Schritte im Schlamm vor dem Haus zu hören. Etwas mit langen Krallen schabte weiterhin an den Wänden des Wirtshauses entlang, versuchte scheinbar ohne Sinn und Verstand einen Weg ins Innere des Gebäudes zu finden.
Ich spürte, wie Tom meine Hand ergriff, und sah die Angst in seinen Augen, wie er sie auch in den meinen erkennen mochte. Meine Hand zitterte, und es war gut, ihn so dicht bei mir zu spüren.
Dann verstummten auch die Pferde.
Der Wind heulte weiter ums Haus. Ich glaubte, leise Stimmen zu erkennen, unartikulierte Laute von großen Tieren, die sich da draußen versammelten. Herr Vályi und sein Sohn verließen die Stube und liefen
Weitere Kostenlose Bücher