Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
aufgeregt im Haus umher, sprangen schnellen Schrittes die Treppe hinauf, um im oberen Stockwerk nach dem Rechten zu sehen.
Ruhe trat ein. Es war eine Stille, die uns förmlich anzuschreien schien. Das Schlagen meines Herzens füllte meinen Verstand aus.
»Wir müssen nach dem Kutscher sehen«, forderte uns der Doktor auf.
Eva Nagy verneinte dies energisch. »Ihm kann niemand mehr helfen.«
Der Doktor rannte unruhig in der Stube auf und ab, einem im Käfig gefangenen Tier gleich.
»Was sind die Vrolok?«, wiederholte Tom seine Frage.
Eva schlug den Blick nieder. »Es ist
kein
Aberglaube«, sagte sie.
Und Pickwick murmelte etwas, das keinen Sinn für mich ergab: »Dann sind wir der Hölle vielleicht näher, als ich dachte.«
Niemand schenkte ihm Beachtung.
»Es begann vor einem Jahr.« Evas Hände spielten nervös mit dem Tischtuch. »Die Bauern fanden des Morgens immer häufiger tote Kühe und Schafe auf den Weiden vor. Alle vermuteten damals, dass der kalte Winter hungernde Wölfe aus dem Gebirge in die Täler getrieben hatte. Doch es waren keine Wölfe gewesen. Kein Wolf richtet seine Beute derart zu.«
Herr Vályi kehrte abermals in die Stube zurück und ließ sich mit einem erleichterten Seufzer am Tisch nieder. »Sie sind fort«, übersetzte Tibor uns die Worte des Wirtes.
»Die Übergriffe erfolgten immer häufiger«, fuhr Eva fort. »Dann, zu Beginn des Sommers, wurde erstmals einer der Einwohner vermisst.«
Wir nahmen am Tisch Platz und lauschten gebannt ihren Worten.
»Péter Földes war ein kleiner Bauer, dessen Hof sich außerhalb von Aghiresu befand. Seine Frau behauptete später, dass er an jenem Tag verzweifelt von der Arbeit auf dem Feld nach Hause gekommen sei, um ihr mitzuteilen, dass eine seiner beiden Milchkühe verschwunden sei. Er habe das Gatter an der Weide geöffnet vorgefunden und die Spuren, welche die Kuh im weichen Boden hinterlassen hatte, führten in die Wälder des
Isten Szek
. Für Péter Földes war es ein schlimmer Schicksalsschlag, eine gesunde Kuh zu verlieren. Sie müssen wissen, dass die Menschen hier nicht viele Besitztümer ihr Eigen nennen können, und eine gesunde Milchkuh bedeutet einen Hauch von Wohlstand. Péter hatte eine Frau, zwei Kinder und die Großeltern zu ernähren. Also machte er sich, beherzt wie es nun einmal seine Art gewesen ist, auf, um den Spuren der Kuh in die Wälder zu folgen und sie wieder einzufangen. Er musste schnell handeln, weil er ja dachte, dass sich Wölfe in der Gegend herumtrieben, für die seine Kuh ein leichtes Opfer darstellen würde.«
Erneut fiel mir der Blick auf, den mein Bruder der Lehrerin zuwarf, und ebenso bemerkte ich, dass er sich betont distanziert gab.
»Péter Földes kehrte nicht wieder aus den Wäldern zurück. Am Abend begann sich seine Frau um ihn zu sorgen. Am nächsten Tag brachte die Nachricht von seinem Verschwinden das ganze Dorf in Unruhe. Kleine Gruppen von Männern durchstreiften die Wälder und suchten nach dem Bauern, doch fanden sie weder Péter Földes noch seine Kuh. Beider Spuren verloren sich schnell.«
Selbst der Doktor war nun still geworden und hatte sich auf einem der Schemel niedergelassen.
Evas Augen wirkten müde und traurig, als sie sich die Geschehnisse in Erinnerung rief.
»Drei Tage nach dem Verschwinden des Bauern«, fuhr sie fort, »ritt der Dorfschmied zum Hof hinaus, um der Familie neue Hufeisen zu liefern. Er fand den Földes-Hof verlassen vor. Wieder suchten wir die umliegende Gegend ab, doch es fanden sich keinerlei Spuren, die auf den Verbleib der Familie hingewiesen hätten. Die Frau, beide Kinder sowie die Großeltern waren einfach so verschwunden. Das gesamte Vieh des Hofes war dahingeschlachtet. Man fand die Überreste überall verstreut, auf dem Hof, in den Stallungen und in der Scheune.«
»Also doch Wölfe?«, fragte der Doktor.
Eva schüttelte den Kopf. »Natürlich lag diese Vermutung nahe. Doch erklärt sie nicht das Verschwinden der Familie. Sie können sich vorstellen, dass das Dorf nach diesen Ereignissen in Aufruhr gewesen ist. Die alten Leute begannen von Wesen zu erzählen, die tief in den Wäldern lebten und selten aus der Dunkelheit und den Schatten hervortraten.«
»Die Vrolok?«, fragte ich.
»Sie und andere Wesen«, antwortete Eva. »Man munkelte, es sei eine Stregoica in der Nähe, die des Nachts auf ihrem Besen durch die Lüfte ritt und die Menschen mit ihrem Atem und ihrer bösen Magie verfluchte. Man erinnerte sich alter Geschichten, in denen
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