Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
vor sich hin, als er der Unordnung gewahr wurde.
Frau Rogács zog einen Vorhang beiseite und ermöglichte uns so den Zugang zu einem kleinen Nebenzimmer, eher einer Nische in der Wand, die gerade ausreichend Platz für das schmale hölzerne Bett bot, auf dem ein Mädchen, an Hand- und Fußgelenken mit einem dicken Seil an die Bettpfosten gefesselt, regungslos dalag und nur leise und sehr flach atmete.
Doktor Pickwick stellte seine Tasche auf dem Boden ab und kniete sich neben das Bett. Ich stand hinter ihm und erschrak beim Anblick des Gesichts, das sich hinter den langen verfetteten Haaren verbarg. Leere, dunkel umränderte Augen starrten uns leblos an. Die Haut des Mädchens war leichenblass und an manchen Stellen mit einem nässenden Ausschlag bedeckt. Trotz des apathischen Zustandes schien die Kleine bei Bewusstsein zu sein.
»Hogy hívnak?«, fragte der Doktor mit ruhiger Stimme.
Das arme Wesen öffnete die blutleeren Lippen und hauchte: »Katálin.«
Pickwick übersetzte mir, dass dies ihr Name sei. Dann sprach er mit der Mutter, bevor er sich erneut dem Kind zuwendete und ihm leise Fragen stellte, die das Mädchen mit einer brüchigen hellen Stimme zu beantworten versuchte. Das Sprechen fiel ihr offenbar nicht leicht.
Bald füllten sich ihre leeren, glanzlosen Augen mit Tränen, und sie begann laut zu schluchzen. Pickwick legte ihr seine Hand auf die Stirn und strich ihr langsam die Strähnen des dunklen Haars aus dem fiebrigen Gesicht.
Dann teilte er mir mit, dass die Kleine gesagt habe, dass sie unter starken Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit leide. Am Ende habe sie mehrmals betont, dass etwas sie gebissen habe.
»Ich werde ihren Urin und ihr Blut untersuchen müssen«, murmelte er und begann in seiner Tasche nach den benötigten Instrumenten zu kramen. Kurz darauf hielt er eine glänzende Spritze in der Hand. Mit einer geübten Handbewegung schraubte er die Nadel auf. »Sie werden ihren Arm festhalten müssen«, wies er mich an.
Ich tat, wie mir geheißen war, bezog Position neben dem Bett und packte den Arm des Mädchen. »Wie alt ist die Kleine?«, fragte ich den Doktor, der eine Aderpresse am Oberarm der Patientin anbrachte.
»Sechs, vielleicht sieben Jahre«, mutmaßte er.
Er suchte nach einer hervortretenden Vene, was sich als schwieriges Unterfangen im Dämmerlicht der Stube erwies, und als er dann endlich die Nadel ansetzen wollte, begann die Kleine sich derart plötzlich auf dem Bett hin und her zu werfen, dass wir beide erschrocken aufsprangen und entgeistert auf den tobenden Körper des Mädchens starrten. Sie fauchte uns böse an, und in diesem Moment glich ihre Verhalten dem eines wilden Tieres. Ein tiefes Knurren erfüllte den Raum, und dann versuchte sie verzweifelt, mit ihren Zähnen nach den Fesseln zu schnappen. Als ihr das nicht gelang, fixierte sie uns mit gefletschten Zähnen, und es war nichts Menschliches mehr in ihren Augen zu erkennen.
»Was ist das nur?« Meine Stimme zitterte.
Doktor Pickwick sah blass aus. »Wir werden sie betäuben müssen«, stellte er fest und kramte in seiner Tasche herum, jedoch ohne den Blick zu lange von der gefesselten Patientin abzuwenden. Dann erbat er sich von Frau Rogács ein altes Tuch, welches er mit einigen Tropfen Äther beträufelte. »Vegyen mély lélegzetet, Katálin!«, flüsterte er, als er das Tuch auf Mund und Nase des Mädchens presste, das sich weiterhin wild in den Fesseln aufbäumte.
Es dauerte nicht lange, bis die Zuckungen des kleinen Körpers nachließen.
Katálin lag jetzt regungslos da und atmete ruhig und regelmäßig.
»Jetzt, kleines Mädchen«, murmelte der Doktor triumphierend, »wirst du mir keine Schwierigkeiten mehr bereiten.« Mit diesen Worten griff er schnell zur Spritze, stach sicher in den kleinen Arm und sog das Blut aus dem zerbrechlich wirkenden Körper. Er beugte sich vorsichtig über das Gesicht der Kleinen, zog die Lider des Mädchens vorsichtig zurück und betrachtete ihre Augen. »Die Pupillen sind geweitet, und es befinden sich helle Flecken in ihnen«, sagte er nachdenklich. »Fräulein Holland, bitte bringen Sie mir eine Laterne.«
Ich schaute mich im Raum um und brachte ihm die erste Kerze, deren ich habhaft werden konnte.
Pickwick nahm sie wortlos entgegen und hielt sie dicht vor die Augen des Mädchens.
»Sehen Sie das?«, fragte er.
Die Augäpfel verfärbten sich von einem hellen Weiß zu einem schmutzigen eitrigen Gelb, und das Netz feiner Blutgefäße trat deutlicher hervor. Die
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