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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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immer dichter zu werden. Wir bewegten uns bergaufwärts in jene Region, die von den Einwohnern
Isten Szek
genannt wurde. Der Sitz Gottes. Hohe dürre Bäume reckten sich in den wolkenverhangenen Himmel über uns, der Geruch nach nassem Laub und Erde vermischte sich mit den Ausdünstungen der Pferde. Nadelhölzer und dürres Geäst schlugen uns in die Gesichter, als wir den Pfad, dem wir zu Beginn gefolgt waren, verließen.
    »Hörst du das?«, fragte Tom, der neben mir ritt.
    Ich lauschte in die Stille. »Was meinst du?«, erwiderte ich. »Ich höre gar nichts.«
    »Genau«, stimmte er mir nickend zu. »Man hört gar nichts. Nicht das kleinste Geräusch.«
    Jetzt fiel es auch mir auf.
    Es gab keine Geräusche in diesem Wald. Kein Vogelgezwitscher, kein Rascheln von davonhuschenden Mäusen im dichten Gestrüpp, sogar die vom Herbstwind geschüttelten Baumkronen schienen zu schweigen.
    Die Brüder Csuha indessen wirkten dadurch nicht irritiert. Ihre geschärfen Blicke allzeit auf den Boden vor uns gerichtet, hielten sie von Zeit zu Zeit an, stiegen vom Pferd ab und prüften hier einen abgeknickten Ast, da einen Abdruck im Boden oder den Geruch der moosbefallenen Baumstümpfe, die wie abgestorbene Zähne aus dem Waldboden ragten. Wenn sie das getan hatten, nickten sie einander mit ernsten Gesichtern zu, bestiegen erneut ihre Pferde und deuteten mit ausgestreckten Armen in eine bestimmte Richtung, der wir dann folgten.
    Dann und wann stießen wir auf steinerne Kreuze oder Bildstöcke, die an Weggabelungen oder inmitten der Wildnis errichtet worden waren. In Stein gemeißelte Abbilder der Jungfrau Maria und des dornengekrönten Christus waren in den Nischen zu erkennen.
    »Diese Betsäulen dienen der Segnung der Wälder«, kommentierte Tibor. »Einige von ihnen lassen sich zurückführen auf die frühen christlichen Pilger, die vor langer Zeit aus dem Osten gekommen sind.«
    »Sie sehen unheimlich aus«, bemerkte ich.
    Der Wald, in dem wir uns nun befanden, mochte bereits in einer der höheren Regionen des
Isten Szek
liegen. Dichte Tannen absorbierten selbst die letzten Reste des kümmerlichen Tageslichts. Das Reiten und die permanente Anspannung der Nerven ermüdete sehr und machte den Geist empfänglich für sich bewegende Schatten und Äste.
    Wir folgten der kargen Spur mittlerweile seit mehr als fünf Stunden, und ich vermutete, dass der Sonnenuntergang nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Die Aussicht, die kommende Nacht inmitten der Wälder verbringen zu müssen, war wenig verlockend.
    Ich sprach Tibor darauf an, und er tröstete mich, dass es weiter oben am Berg eine kleine Hütte gebe.
    Gerade freundete ich mich dem Gedanken an, die Nacht im Schutze einer sicheren Hütte verbringen zu können, als die Brüder Csuha die Pferde zum Stehen brachten und uns mit erhobener Hand zu schweigen geboten. Mein Herz begann aufgeregt zu pochen, als ich im Nebel vor uns eine hoch gewachsene Gestalt zu erkennen glaubte, die ebenso schnell wieder verschwand, wie sie aufgetaucht war. Das konturenhafte Geschöpf bewegte sich auf zwei Beinen katzenhaft schnell durch das dichte Unterholz.
    »Egy Vrolok«, hörte ich Lajos seinem Bruder zuflüstern.
    Béla hielt das Gewehr im Anschlag und spähte, wie wir alle, dorthin, wo vor Augenblicken noch jene seltsame Gestalt zu erkennen gewesen war.
    Wir alle lauschten gebannt einem lauten, lang gezogenen Heulen. Eine beängstigende Stille folgte. Dann wurde das erste Heulen von einem zweiten beantwortet. Die Pferde begannen zu scheuen und panisch die Köpfe in alle Richtungen zu drehen. Ich streichelte den Hals meiner Stute und flüsterte ihr, mich vorbeugend, beruhigend ins gespitzte Ohr.
    »Von woher kam das zweite Heulen?«, fragte der Doktor.
    Keiner von uns wusste darauf eine Antwort. Der dichte Nebel machte jede Positionsbestimmung unmöglich.
    »Was war das?«, fragte Tom, dem Doktor zugewandt. »Wölfe?«
    Pickwick sah ratlos aus. »Vielleicht«, sagte er.
    Doch niemand von uns glaubte auch nur im Entferntesten daran, dass wir es hier mit Wölfen zu tun hatten.
    »Wir reiten weiter«, entschied der Doktor schließlich.
    Also folgten wir weiterhin den beiden Brüdern, die nun noch wachsamer wirkten als zuvor.
    Nach einiger Zeit begannen sich die Nebel zu lichten, und wir erkannten in der hereinbrechenden Dämmerung, dass wir uns am Eingang zu einem kleinen Tal befanden, zu dessen beiden Seiten sich zackige Felsen erhoben und durch das sich ein schmaler Fluss schlängelte. Aus

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