Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Lagerfeuern vor der Höhle, um die in kleinen Gruppen wölfische Kreaturen hockten und an den Stücken rohen Fleisches, welche sie in ihren klauenhaften Händen hielten, nagten.
Dies also war das Lager der Vrolok.
Lajos Csuha schloss zu uns auf und gebot uns mit auf die Lippen gelegtem Finger zu schweigen.
Meine Hand tastete unwillkürlich nach der Pistole, die mir der Doktor zugesteckt hatte. Tom, der neben mir kniete, entsicherte behutsam sein Gewehr, während Pickwick fasziniert zum Höhleneingang starrte. Tibor zitterte am ganzen Körper, und der Schmied ließ unruhige Blicke in alle Richtungen gleiten.
»Es sind so viele«, flüsterte ich Tom zu. Eigentlich war es mehr ein stummes Bewegen der Lippen.
Tom nickte nur, nicht minder aufgewühlt.
Die Vrolok waren gerade damit beschäftigt, die Überreste des soeben gerissenen Hirsches zu vertilgen. Ihre Bewegungen waren ruckartig und wild, während sie gierig fraßen. Die langen Schnauzen rissen das Fleisch von den Knochen des toten Tieres. Dabei stießen die Vrolok fortwährend knurrende Laute aus, und sobald sich ihnen ein Artgenosse näherte, schnappten sie böse nach ihm.
Es gab viele kleinere Vrolok, die menschenähnlicher zu sein schienen, weil ihnen die spitzen Ohren fehlten, und die sich ausschließlich von den Resten ernährten, die vom Mahl der ausgewachsenen Kreaturen abfielen.
Toms Hand legte sich auf meine Schulter, und ich folgte seinem Blick zu einem Gebilde, welches sich neben dem Höhleneingang befand und uns bisher nicht weiter aufgefallen war.
Was ist das?, formte ich mit den Lippen.
Ratloses Achselzucken war die Antwort.
Das Gebilde mochte eine Höhe von etwa zwölf Fuß haben. Es sah aus, als habe jemand einen abgehackten Baumstamm in den Boden gerammt. Unverkennbar hatte es menschenähnliche Züge, die wir genauer zu erkennen vermochten, als die Vrolok damit begannen, Fackeln in den Boden um das Gebilde herum zu stecken. Wir blickten auf das übergroße Abbild einer Frauenfigur, vom flackernden Licht erhellt, die grob in die uns zugewandte Seite des Holzstammes hineingeschnitzt worden war. Ihre Gesichtszüge wirkten streng.
Die Vrolok hatten damit begonnen, sich in einem Halbkreis um die Skulptur zu versammeln. Schmutzige, blutbesudelte Leiber wälzten sich unterwürfig im Dreck vor der Höhle. Leises Wimmern war zu vernehmen, als ein großer Vrolok aus der Höhle trat, etwas Lebendiges in den ausgestreckten Klauen haltend. Das kleine Bündel bewegte sich unruhig, und als das Klagen der Vrolok verebbte, drang leises Kinderweinen an unsere Ohren. Die schluchzenden Laute von György Tucseks Jungen ließen alle erschauern.
Der große Vrolok (vermutlich der Anführer des Rudels) ging langsam und mit gesenktem Kopf durch die Reihen seiner Artgenossen, ließ diese das Bündel kurz und ehrfürchtig berühren und blieb schließlich vor der Skulptur stehen, um ihr das Bündel entgegenzuhalten. Die Erkenntnis, dass wir Zeuge einer rituellen Handlung wurden, wich der Besorgnis, die mich befiel, als ich in die vor hilfloser Wut tränennassen Augen des Vaters blickte.
Als der Anführer der Vrolok das Bündel öffnete und die nunmehr panischen Schreie des kleinen Jungen die Nacht zerschnitten, gab György Tucsek zu unser aller Entsetzen zwei Schüsse aus seiner Flinte ab. Bevor noch jemand gänzlich verstand, was geschah, hatte der Schmied seinen alten Krummsäbel gezückt und rannte, diese Waffe schwingend und wie tobsüchtig schreiend, auf die Vrolok zu. Für einen Augenblick tauchte das Bild einer altertümlichen Schlacht vor mir auf, Horden von Kriegern, die brüllend und mit primitiven Waffen versehen aufeinander losstürmten.
»Állj!«, schrie Béla wütend.
Sein Bruder fluchte grimmig: »Úr Isten.«
Ich starrte zur Höhle.
»Bleibe dicht bei mir«, hörte ich Tom neben mir sagen.
Die Vrolok wirkten einen Moment lang verunsichert. Etwas hatte ihrem Anführer das Gesicht zerfetzt. Der kleine Junge lag zappelnd auf dem Boden. Dann richtete sich die Aufmerksamkeit der Kreaturen auf den angreifenden Schmied, der mit zwei Säbelhieben die ersten beiden Vrolok, die ihm begegneten, ins Jenseits beförderte. Die Brüder Csuha begannen nun ebenfalls, auf die Gestalten zu feuern. Der Geruch nach Schießpulver lag beißend in der Luft.
Ein wütendes Heulen aus vielen Kehlen ertönte.
»Der Junge«, flüsterte mir Tom zu. »Wir müssen das Kind retten.«
Ich konnte nicht erkennen, wie uns das gelingen sollte.
Trotz verzweifelter Gegenwehr
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