Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
obwohl nicht weit von uns entfernt, im Dunst unsichtbar blieb.
Bald schwoll der heulende Wind zu einem Sturm von solcher Trockenheit an, dass unsere ausgedörrten Lippen aufsprangen und die Haut im Gesicht zerriss, während die Augenlider, die körnig von Sand waren, gleichsam einzuschrumpfen schienen.
»Was ist das für eine Festung?« Emily, die ihr Gesicht mit der Hand abschirmte, blickte dorthin, wo der Festungswall in ein palastartiges Gebilde von schier unglaublichen Ausmaßen mündete.
»Das«, sagte ich, »ist Pandaemonium. Der Palast des Engels Lucifer.«
»Und dort lebt Pickwick?«
»Folgen Sie mir!«, forderte ich die anderen auf.
So schritten wir mühsam die Düne zum Pandaemonium hinauf, wo uns Pilatus Pickwick und Maurice Micklewhite am Tor erwarteten.
Getöse drang an unsere Ohren.
»Es kommt von dort drüben«, stellte Aurora fest.
Alle sahen wir zum Wall.
Und darüber hinaus, was uns die Düne, die sich hinter den Mauern Pandaemoniums erhob, erlaubte.
»Die Horde Vinshati«, rief uns Maurice Micklewhite entgegen, »ist vor einer Stunde hier angekommen.« Er deutete hinüber in die Wüste jenseits der Mauer, von wo der tosende Lärm herrührte.
»Das ist Schlachtenlärm«, entfuhr es al-Vathek. Zum ersten Mal, seitdem ich ihm begegnet war, wirkte er unsicher und verletztlich. »Kann es möglich sein, dass Carathis bereits hier ist?«
»Sie ist es!« Pickwick schritt schnellen Fußes auf den Wiedergänger zu. »Seid gegrüßt, al-Vathek. Wer hätte gedacht, dass wir uns noch einmal wiedersehen werden?«
»Ich stehe in Ihrer Schuld, Doktor.«
»Seht nur!« Adams Stimme zitterte merklich beim Anblick der Ebene vor dem Wall.
Emily wandte den Kopf.
Sah tausende zerlumpter Vinshati, die in wilden Horden angriffen. Zwischen ihnen Wesen, die keiner von uns jemals zuvor erblickt hatte. Nekir, diese riesigen insektenhaften Räuber mit ihren langen Beinen und mandibelartigen Mündern, die über kreischende Vinshati herfielen. Hymenopteren, die wespengleich in wimmelnden Schwärmen die Häupter der einstmaligen Menschen umhüllten. Skorpionwesen, die sich im Sand schlängelten, die Vinshati mit ihren Scherenhänden packten, sie in den Treibsand hineinzogen.
»Das ist ein Schlachtfeld«, murmelte Eliza entsetzt.
»Wohin will diese … Horde?« Scheinbar war es an mir, die wirklich wichtigen Fragen an diesem Tag zu stellen.
Pilatus Pickwick deutete in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Dort drüben, jenseits der Gebirgskette, befindet sich der Eingang zum Limbus. Und dahinter erstreckt sich die wilde Wüstenei. Ein Sandmeer von unvorstellbaren Ausmaßen.«
»Lassen Sie mich raten«, fiel ich ihm ins Wort, »dort werden wir die Maske der Lilith finden.«
»Sie sagen es.«
Die Geografie der Hölle war wirklich kompliziert.
Maurice Micklewhite war froh, dass wir wieder alle beisammen waren. »Du bist ein Quell an Optimismus, Mortimer, wie immer.«
Eine Dankesgeste an den Elf schien mir angebracht zu sein.
»Miss Fitzrovia«, begrüßte Maurice Micklewhite das Mädchen, das still dastand und ihren Mentor schweigend anstarrte. »Es geht Ihnen gut.«
Aurora öffnete den Mund, doch erstarben ihr die Worte im Hals.
»Was haben Sie nur?« Die hellen Augen des Elfen wirkten besorgt.
»Die Zeit drängt«, rief uns Pilatus Pickwick zu. »Ihr solltet aufbrechen.«
Der Wüstenwind, der uns eben noch in die Gesichter geblasen hatte, war wieder da. Lässig ließ er sich auf der Mauer Pandaemoniums nieder und lud uns ein, mit ihm zu reiten.
»Ihr könnt ihm trauen«, sagte Pilatus Pickwick.
Emily zuckte die Achseln.
Und während Maurice Micklewhite, Aurora Fitzrovia samt Dinsdale und al-Vathek in der Gesellschaft Pilatus Pickwicks im Pandaemonium zurückblieben, konnte die Reise für uns andere beginnen …
Kapitel 4
Die wilde Wüstenei
»Er wird euch ans Ziel bringen«, sagte Pilatus Pickwick. Der Wüstenwind, der sich auf der Balustrade im Pandaemonium niedergelassen hatte, würde uns an jenen Ort bringen, an dem auch Lucifer vor vier Jahren, die hier unten eine Ewigkeit oder einen Wimpernschlag bedeuten mochten, gewesen war.
»Wir grüßen Euch«, murmelte ich.
»Sein Name«, sagte Pickwick, »ist el-Khamsin.«
Unser neuer Gefährte formte Worte aus Luft. »Ich bin der Wind«, stellte er sich uns vor, »ja, der Wüstenwind. Ich wehe heiß am Tage, und des Nachts, ich eisig kalter Wind, bin ich den Menschen eine Plage.« Er wehte uns um die Mäntel, die wir noch immer trugen. »Wenn
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