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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Lebensenergie schenkt, es befindet sich in meinem Besitz. Würde er sein eigenes Portrait anschauen, dann würde ihm widerfahren, was dem Lazarus in dem Bildnis widerfahren ist.«
    Ohne eines der Tücher beiseite zu ziehen, verließen wir die Gemälde- und Skulpturenabteilung im ersten Stock und begaben uns zu den
objets d’art
im zweiten Stock, wo Eugène Delacroix seinen Eingang zur Hölle in Öl verewigt hatte.
    Dies war der Weg, den wir zu nehmen gedachten.
    Das riesige Gemälde zeigte ein Boot auf tosender See, in der sich leichenblasse Gestalten verzweifelt aneinander und ans Boot klammerten. Wolken und Rauch bedeckten den nächtlichen Himmel, und die brennenden Mauern einer Stadt im Hintergrund waren die einzige Lichtquelle. Dante Alighieri und Vergil standen aufrecht im Boot und trieben mitten in eine Nebelwand hinein.
    »Ah, Wittgenstein«, begrüßte mich der gemalte Dante, in dessen Gesicht die Tupfer der Farbe, die Delacroix benutzt hatte, deutlich hevortraten. »Ihr seid spät dran. Pickwick hat bereits nach Euch gefragt.«
    »Hat sich die Lage verschlimmert?«
    »Die feindlichen Horden sind bis zum Pandaemonium vorgedrungen«, antwortete Vergil, dessen Haupt ein verdorrter Lorbeerkranz zierte.
    »Dort sollen wir hineingehen?«, fragte Emily.
    »Wenn Sie keinen anderen Weg kennen, dann wäre dieser hier angemessen«, schlug ich vor.
    Dante Alighieri streckte die Hand aus, wodurch sich die Leinwand spannte.
    »Ihr geht voran, Wittgenstein«, sagte Eliza.
    Nun denn.
    Ging ich eben voran.
    Streckte meine Hand aus, und als Dante Alighieris Finger die meinen berührten, da wurden diese mit einem Mal gemalte Finger, auf denen man die Maserung der Leinwand zu erkennen vermochte. Ölfarbe kroch an mir herauf, und entschlossen trat ich mit geschlossenen Augen in das Bild hinein. Hinter mir hörte ich, wie Vergil die Mädchen und al-Vathek antrieb, sich zu beeilen, bevor die Flut käme. Adam Stewart und Eliza Holland bildeten die Nachhut.
    Als ich die Augen öffnete, befand ich mich genau dort, wo ich vor wenigen Stunden bereits gewesen und von wo ich aufgebrochen war, um nach Paris zurückzukehren.
    Im Pandaemonium.
    Pilatus Pickwicks Basislager, von dem aus er die Expeditionen in die tieferen Höllenkreise unternahm.
    Emily und Aurora kniffen die Augen zusammen. AlVathek und Eliza Holland schien die Szenerie an Ägypten zu erinnern. Lady Mina hatte gut daran getan, bei Ipy der Sphinx zu bleiben. Und Adam wirkte wie ein Musiker, der Bob Dylan die Hand hatte schütteln dürfen.
    »Wir sind da«, sagte ich leise.
    Sah mich um.
    Dämmerung lag über der Hölle.
    Und langsam wurde es Licht.
    Schroff begannen sich die Täler abzuzeichnen, ihre Betten bestanden aus sauberem Sand oder Kies, hier und da von mächtigen Felsblöcken unterbrochen. Wesen krochen in dem Sand herum. Überall wucherten seltsame Gewächse, Ginsterbüschen ähnlich, mit ihrem Grün und Grau dem Auge wohltuend und gut für Brennholz, aber zum Abweiden ungeeignet, wie mir Pilatus Pickwick, der sich von Ziegenprodukten aller Art ernährte, mitgeteilt hatte.
    »Dies ist das Wadi Pandaemonium«, erklärte ich den anderen.
    Dinsdale entfleuchte Emilys Manteltasche und flirrte in der Hitze.
    Die zusammengekniffenen Augen blickten auf eine Landschaft, die anders war als die eisige Hölle, die wir damals betreten hatten. Es gab Sandbänke und Steilhänge, schroffe Klippen und sich bis zum Horizont dehnende Dünen, die in der Ferne in eine Art Salzsee zu münden schienen.
    Etwas, das wie eine Sonne aussah, aber naturgemäß keine Sonne sein konnte, weil wir uns ja im Inneren der Erde befanden, ging über dem Festungswall, der sich direkt vor uns befand, auf. Das Licht dessen, was auch immer dort schien, flutete waagerecht in eine weite Ebene und zauberte, jede geringste Erhöhung mit langen Schatten hervorhebend, das ganze wechselvolle Spiel einer reich bewegten Bodengestaltung über die Fläche hin. Dies jedoch nur für Augenblicke, denn während wir noch hinsahen, da schrumpften die Schatten ein, verweilten noch wie ein letzter zitternder Hauch an den fernen Hügeln und schwanden dann wie auf einen Schlag. Der Morgen war in der Hölle angebrochen. Erbarmungslosergossen sich die Lichtströme gleichförmig über jeden Stein und jedes Sandkorn in dieser Wüste, die kein Ende zu haben schien.
    Ein Wind kam auf, wahrhaft erstickend und wie von Hochofenglut. Schon nahm er zu und füllte sich mit dem Staub der
al-Khamsin
, jener gewaltigen Sandwüste, die,

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