Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
mit einem Kind anfangen?« Er hatte ungeduldig gewirkt. »Al-Vathek sollte sich um das Kind kümmern. Was er ja auch getan hat. Dr. Lazarus hat seine Gargylen geschickt, stimmt’s?«
»Was geschieht mit Emily Laing?«
Lapidar hatte er zur Antwort gegeben: »Lazarus wird seine Gargylen schicken. Keine Angst, sie wird Maspero und Gurgar entkommen. Miss Holland hat vor wenigen Stunden eine Nachricht geschickt.«
Muss ich erwähnen, wie mich dies beruhigt hatte?
»Durch Micklewhite habe ich erfahren, was in London vor sich geht und weshalb Sie meine Hilfe suchen. Ja, ich weiß, dass al-Vathek hinter all dem steckt. Dieser Hund! Er hat gut daran getan, Ihren Kollegen herzuschicken. Wenn al-Vathek hier aufgetaucht wäre, dann hätte ich ihn zum Teufel gejagt.« Er hatte laut lachen müssen. »Na ja, der ist derzeit leider verhindert, aber Sie wissen schon, wie ich es meine.«
»In der Tat.«
»Die Nekir unterstehen den Urieliten, habt Ihr das gewusst?«
»Nein.«
»Die Späher, die jenseits des mittlerweile offenen Limbus leben, haben uns davon in Kenntnis gesetzt, dass vor einigen Stunden diejenigen Zugänge zur Hölle, die sich in London befinden, geöffnet wurden.«
»Wie kann das möglich sein?«
Die Engel hatten die Zugänge verschlossen.
Versiegelt.
Mit dem Feuer ihres Gesangs.
Und nur in der Engel Macht lag es, sie wieder zu öffnen.
»Ein Urielit hat sie geöffnet«, hatte Pickwick gesagt.
Der Engel, den die Vinshati in Adelphi Arches angefallen hatten, war selbst zu einem Vinshati geworden! Er hatte den Himmel am Oxford Circus verlassen und die Pforten der Hölle unterhalb des Towers geöffnet. Deswegen also hatte Carathis ein Rudel Vinshati darauf angesetzt, einen Engel anzufallen!
»Vinshati strömen von dort aus in die Höllenkreise und haben mit der Suche nach der Maske der Lilith begonnen. Ja, Micklewhite hat mir alles erzählt. Da staunt Ihr, nicht wahr?«
»Was geschieht hier unten?«
»Alles, was nicht sein darf«, hatte die Antwort gelautet.
Emily, die jetzt gleich, an einem eisig kalten Wintertag, die Hölle betreten sollte, würde sich davon überzeugen können, dass mich Pilatus Pickwick nicht angelogen hatte.
Im Musée du Louvre angekommen, machten wir uns sogleich auf den Weg zu dem betreffenden Gemälde.
Wir durchquerten Galerien mit verhangenen Gemälden und Bildern, weite Hallen, die kalt und verlassen im fahlen Licht weniger Kerzen lagen und durch die schon lange keine Besucher mehr gewandert waren.
»Dies«, offenbarte uns al-Vathek, »sind die LazarusGemälde.«
»Sie stammen von
ihm
?«, hakte Aurora nach.
»Sagte ich das nicht gerade?«
»Warum arbeiten Sie mit ihm zusammen?«, fragte Emily ihn.
»Lazarus«, erklärte uns al-Vathek geduldig, »hat lange Zeit in Prag gelebt. Er ist ein
Nocnitsa
, der von boshaften Gefühlen lebt, wie der Nyx und Hemera es tun.« Er sah Emily ernst an. »Und er ist den Wiedergängern nicht unähnlich. Wir müssen Blut trinken, um am Leben zu bleiben. Und Lazarus«, er suchte nach einer passenden Formulierung, »muss andere Dinge in sich aufnehmen.«
»Ich weiß, was er tut.«
Beide, Emily und Aurora, hatten vor Jahren eine wenig erinnerungswürdige Begegnung mit der Kreatur gehabt, die sich damals Dorian Steerforth genannt hatte.
»Er diente Mushroom Manor«, gab Aurora zu bedenken.
Al-Vathek nahm den Einwurf zur Kenntnis. »Es bedurfte einiger Überredungskünste, um ihn davon zu überzeugen, mit uns zu kooperieren.«
Wir standen vor den Bilderrahmen, die allesamt mit dunklen Tüchern verhangen waren.
»Was befindet sich dahinter?«, wollte Emily wissen.
»Die Portraits der Menschen, denen du am Gare Saint-Lazare begegnet bist«, antwortete Eliza. »Dr. Lazarus eignet sich Fotografien dieser Menschen an, und dann malt er ihre Gesichter.« Es schien ihr unangenehm zu sein, darüber reden zu müssen. »Das, was mit den Menschen geschieht, wenn sie gestorben sind, widerfährt hier ihren Portraits.«
»Du meinst …?« Emily wollte es nicht aussprechen. Zu widerwärtig war der Gedanke an das, was sich hinter diesen Tüchern befinden mochte.
»Die Menschen leben, sofern man diesen Zustand als Leben bezeichnen kann. Ihre Portraits hingegen sind dem Zerfall voll ausgesetzt.«
»Was würde geschehen, wenn die Lazarus-Menschen ihr Portrait sehen würden?«
»Fragen Sie besser nicht«, grummelte ich.
»Das«, offenbarte uns al-Vathek, »ist das Argument, mit dem wir Lazarus zur Zusammenarbeit bewegen konnten. Was immer ihm
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