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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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immer verändert. Schon damals hatte sie das gewusst.
    »Es tut mir so Leid«, hatte sie zur Aurora gesagt.
    »Komm, lass uns schweigen.« Zum Reden war Aurora an diesem Abend nicht nach Marylebone gekommen. Nein, sie hatte schweigen wollen. Über das, was während des Begräbnisses geschehen war, musste sie erst allein nachdenken. Vielleicht war alles auch bloß Einbildung gewesen. Gaukelte einem das Auge nicht manchmal Dinge vor, die am Ende doch nur der Verzweiflung und Erschöpfung zuzuschreiben waren? Nein, darüber würde Aurora später nachdenken können. Morgen, das wusste sie, war immerhin auch noch ein Tag.
    »Wittgenstein sagte einmal, dass Menschen nur dann sterben, wenn sich niemand mehr an sie erinnert.« Emily hatte neben ihrer Freundin gesessen und einen Arm um sie gelegt. »Und dass ein Mensch, den man nicht vergisst, zu einem leuchtenden Stern werden kann, der hoch oben am nächtlichen Firmament über einen wacht.«
    »Es war Maurice Micklewhite gewesen, der mich damals aus dem Waisenhaus geholt hat, weißt du noch?« Ins Britische Museum hatte er Aurora gebracht und sich ihrer angenommen. »Ich habe ihm sofort vertraut. Irgendwie.« Sie hatte gezittert. »Ich habe es niemals zu ihm gesagt, Emmy.« Schuldbewusst hatte Aurora den Blick gehoben.
    »Was meinst du?«
    Und Aurora hatte es ausgesprochen: »
Vater

    »Als er da unten in der Hölle starb, da hat er meinen Namen geflüstert, ganz stumm. Und ich habe ihm nicht geantwortet.« Die dunklen Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. »Emmy, ich denke nicht einmal
Vater
, wenn ich mich an ihn erinnere. Alles, was ich denke, ist
Maurice Micklewhite
. Denn das ist er für mich gewesen. Maurice Micklewhite.
Master
Micklewhite. Ich muss andauernd an die Stunden in der Bibliothek denken und an die Gespräche, die wir geführt haben.« Leiser hatte sie hinzugefügt: »Vor allem an die Gespräche, die wir
nicht
geführt haben.« Sie hatte zum Fenster hinausgesehen, wo die nächtliche Silhouette der Stadt der Schornsteine still dagelegen hatte.
    London.
    Ihrer beider Heimat.
    »Emmy, ich vermisse ihn.«
    Sie hatte hemmungslos geschluchzt.
    »Ich weiß«, hatte Emily nur gemurmelt.
    »Er ist meinetwegen gestorben.«
    »So darfst du nicht denken.«
    »Es ist aber die Wahrheit.«
    »Maurice Micklewhite wollte, dass du lebst, Aurora!«
    Emily war nichts anderes übrig geblieben, als ihre Freundin festzuhalten. Als sie sich beruhigt hatte, da war Emily mit ihr zum Fenster gegangen.
    »Siehst du die Sterne dort oben?«, hatte sie gefragt.
    Aurora hatte gewusst, was Emily meinte.
    »Ja«, hatte sie geantwortet.
    Denn sie hatte den einen Stern gesehen, der über sie wachen und den sie niemals würde vergessen können. Hoch oben am Firmament über der Stadt der Schornsteine am dunklen Fluss hatte er gefunkelt.
    Hell und klar.
    Wie ein Nadelstich im Mantel der Nacht.
    »Haben die Guten gewonnen?«
    Emily hatte ihrer Freundin Hand ergriffen.
    Sie lange angesehen.
    An den Zeitungsartikel gedacht, den Peggotty ihr zu lesen gegeben hatte. Mylady Manderley war dort abgebildet gewesen, mit Dr. Dariusz an ihrer Seite. Und Emily hatte sich gefragt, was nun geschehen würde. War Manderley Manor nun nicht wieder das mächtigste Haus in der Stadt der Schornsteine? Und galt Mylady Manderleys Dankbarkeit nicht dem Arzt, der ihr die Tochter zurückgebracht hatte und sie zu heilen versuchte? Der ihr womöglich weise Ratschläge ins Ohr flüsterte? Wie selbstlos, hatte sich Emily gefragt, war al-Vathek wirklich? Und wo befand sich Mia Manderley nun nach ihrer Rückkehr? Al-Vathek hatte ihr den Aufenthaltsort nicht verraten wollen, war jedoch nicht müde geworden zu versichern, dass sie sich in Sicherheit befinde.
    »Sag’s mir, Emmy. Haben die Guten gewonnen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Schließlich hatte Emily geflüstert: »Wir werden alles gemeinsam durchstehen. Was auch kommen mag.« Traurig hatte sie in die dunklen Augen Aurora Fitzrovias gesehen, deren sehnlichster Wunsch, endlich ihre wahren Wurzeln kennen zu lernen, auf so schreckliche Weise in Erfüllung gegangen war.
    Leise, fast ehrfürchtig flüsternd, als seien sie Bestandteil einer Zauberformel, hatte Aurora Fitzrovia die Worte widerholt. »Was auch kommen mag.« Und die Hand ihrer Freundin gedrückt, die sie nie wieder loslassen wollte, weil Emily Laing ihre einzige Familie war in einer Welt, die gute Menschen verschlingen und böse Menschen belohnen konnte, wie immer es ihr gefiel.
    Während Lady Mina mir am

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