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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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beordert?«
    Aurora kannte sich mittlerweile gut aus, dort unten in der U-Bahn. Normalerweise wäre Minuten nach dem Eintreffen der Meldung, dass ein Zug hatte anhalten müssen, eine Mannschaft Techniker und Streckenarbeiter vor Ort gewesen, um nach dem Rechten zu sehen.
    »Genau das war das Problem.«
    Emily hatte sofort geahnt, was geschehen war.
    »Es gab keine Streckenarbeiter mehr im Bereich der Jubilee Line, stimmt’s?«
    Eliza hatte nur genickt und einen Moment lang geschwiegen.
    »Eine Viertelstunde nachdem der Kontakt abgebrochen war, ist der Zug dann endlich in die Wembley Park Station eingefahren.« Die Ringe an Elizas Finger hatten nervös geklimpert. »Sämtliche Abteile waren völlig verwüstet.« Das Bild, das ihre Worte vor der Mädchen innerem Augen beschworen hatten, war entsetzlich gewesen, voller Furcht. Teilweise zerbrochene Fenster. Auf dem Boden und den Sitzen verstreute Habseligkeiten. Zerfleischte Fahrgäste in den Lachen ihres eigenen Blutes. Aus den Laufschienen gerissene Schiebetüren.
    »Die Bahn«, hatte Eliza ihnen abschließend erklärt, »war in der Finchley Road noch voll besetzt gewesen.« Das war die Jubilee Line immer um diese Tageszeit. »Doch fand man nur wenige der Fahrgäste.«
    »Und die anderen?«
    »Sind verschwunden.«
    Es war Emily gewesen, die das Rätsel aufgelöst hatte. »Zu Vinshati sind sie geworden.« Gleichzeitig war ihr die fürchterliche Konsequenz dieser Aussage bewusst geworden. »Die Vinshati«, hatte sie geflüstert, »werden auf diese Art immer mehr.«
    Eliza hatte mit einem Mal müde und ausgezehrt gewirkt. »Versteht ihr nun, weshalb ich mir Sorgen um euch gemacht habe?«
    Maurice Micklewhites Stimme holte Emily aus ihren Gedanken zurück in die Gegenwart.
    »Wir alle kennen die Geschichten, die sich um Liliths Existenz ranken.« Aus dem Paradies hatte man sie vertrieben, weil sie sich den Weisungen sowohl des Träumers als auch ihres Mannes widersetzt hatte. »Ja, Lilith war die erste Frau.« Erwähnte ich vorhin, dass Maurice Micklewhite einen Hang zu Vorträgen besitzt? »Geschaffen von dem Träumer«, fuhr er fort, »der einst die Welt geträumt hat, so wie die Welt dann ihn selbst träumen sollte.« Geschaffen, um dem Mann zu dienen.
    Doch war sie nicht dem Manne ebenbürtig gewesen? Hatte sie nicht zu denken vermocht und war deswegen von dem Ort, der das Paradies war, vertrieben worden? In die Ödnis am Roten Meer war sie geflüchtet und hatte dort, verborgen vor des Träumers Augen, in den Höhlen am Ufer gelebt.
    »Und dort«, fasste Maurice Micklewhite seine Vermutung in Worte, »wurde das Übel, das die Stadt der Schornsteine nun heimsucht, geboren.«
    »Die Vinshati?«
    »Lilith«, wiederholte er, »war der Ursprung.«
    Denn Liliths Geist war voller Trotz und ihr Körper voller Sünde, und so schändete sie des Träumers Ansinnen, indem sie ihr Fleisch den Dämonen schenkte, die ihr in den Körper fuhren und sie in der Dunkelheit der Höhlen die Einsamkeit und das Leid vergessen ließen.
    »Der Träumer entsandte daraufhin drei Engel, die Lilith zur Ordnung rufen sollten.«
    Sie fanden die Abtrünnige. Am Ufer des Roten Meeres, wo sie sich niedergelassen hatte. Die Engel trugen ihr auf, den Anweisungen des Träumers Folge zu leisten. Doch Lilith zeigte den Boten, dass Leben in ihrem Körper wuchs. Denn Lilith hatte den Dämonen, die das Rote Meer bevölkerten, eine verderbte Nachkommenschaft geboren. Sie war zur Mutter unzähliger Kinder geworden und gebar den Dämonen, die Legion waren, immer neue.
    »Es schmerzte die Engel, ihrem Schöpfer die Botschaft zu bringen, dass Liliths gierige Kinder, Lilim genannt, von nun an die Erde heimsuchen würden.«
    »Trotzdem entbrannte einer der Engel in verzweifelter Liebe zu Lilith.«
    »Lucifer«, murmelte Aurora.
    »Sie sagen es.«
    »Lucifer kehrte jedoch in den Himmel zurück, und Lilith, die die Sintflut im Zweistromland überlebt hatte, wanderte weiter nach Zmargad und später dann nach Sheba, wo sie als eine mächtige Königin herrschte in einer Zeit, in der sich die Welt im Wandel befand.«
    Doch selbst als Königin gab sie sich bereitwillig den Dämonen hin.
    Gebar ihnen weitere Nachkommen.
    »Glauben wir den Schriften«, fuhr Maurice Micklewhite fort, »dann ist diese Nachkommenschaft jene Plage, unter der London zu leiden hat.« Ohne eine Reaktion unsererseits abzuwarten, sagte er: »Die Lamiae waren ihre Töchter. Wunderschöne Frauen, die des Nachts ausschwärmten, um Männer zu verführen

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