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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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brachten, der die hellen Augen nur mühsam die Tränen zurückhalten ließ. Der ihre Freundin nahezu verzweifeln ließ, wengleich diese versuchte, die Fassung nicht zu verlieren.
    »Emily«, bat ihr Gegenüber und streckte hilfesuchend die Hand aus.
    Das Mädchen ergriff sie.
    Ganz kalt fühlte sie sich an.
    »Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll.«
    Seit mehr als zwei Jahren zählte Eliza Holland neben der dunkelhäutigen Aurora Fitzrovia zu Emilys sozusagen einzigen beiden Freundinnen, wobei der Besitzerin des kleinen Antiquitätengeschäfts am Cecil Court wohl eher die Rolle einer großen Schwester zuteil wurde, zu der Emily bewundernd aufblickte.
    »Alexander«, murmelte Eliza benommen, die Stimme brüchig.
    Ihr Griff lockerte sich.
    Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und faltete zitternd die Hände.
    Draußen in der schmalen Gasse gingen die Passanten im prasselnden Regen ihres Weges, und niemand verschwendete auch nur einen Gedanken daran, dass sich hinter dem Schaufenster, das angefüllt war mit Skulpturen und Möbelstücken, Bildern und Stichen, das Leben einer jungen Frau in eben diesem Augenblick von Grund auf änderte. Dass alles, was Eliza Holland sich in den letzten Monaten erhofft hatte, mit einem Mal hinweggefegt wurde von der Erkenntnis, dass der Mann, in den sie sich verliebt hatte, einen seiner Kollegen irgendwo tief unter London umgebracht hatte.
    Die klaren blauen Augen suchten verzweifelt nach Antworten.
    Eliza Holland glich nun nicht mehr der Frau, die Emily vor Jahren kennen gelernt hatte. Jener hübschen und eleganten Frau, die so selbstsicher wirkte, dass es schwer fiel, zu glauben, dass auch sie Schwächen haben mochte. Jener Frau, die so gern lachte.
    »Du bist also Wittgensteins Lehrmädchen«, hatte sie Emily damals begrüßt, als diese das Antiquitätengeschäft betreten hatte, um in meinem Auftrag einige Lehrwerke der alten Meister zu erstehen.
    »Emily Laing«, hatte sie sich höflich vorgestellt.
    Ihr Gegenüber hatte Emily eine mit verschnörkelten, höchst hieroglyphenartigen Symbolen tätowierte Hand entgegengestreckt, an der mit filigranen Verzierungen versehene silberne Ringe jeden Finger zierten.
    »Ich bin Elizabeth Holland.« Ihr Lächeln war entwaffnend und offen gewesen: »Eliza.«
    Und während sie in den hölzernen Kisten, die überall in dem kleinen Geschäft herumstanden, nach den Dingen gesucht hatte, derentwegen Emily hergekommen war, hatte sie ihrer neuen Kundin von den Geschichten und Abenteuern erzählt, die all jene angestaubten Gegenstände einst erlebt hatten. Von bösartig verzauberten Prinzessinen und wagemutigen Prinzen, die auf der Jagd nach magischen Skulpturen ganz unglaubliche Abenteuer zu bestehen hatten, ehe sie endlich ihre von Flüchen und Elend erlöste Prinzessin in die Arme schließen konnten. Von Malern und Poeten, die unglücklich und dem Tode nahe Landschaften und Verse von solcher Schönheit zu Papier brachten, dass man dem Schicksal danken mochte, weil es sie an den Rand der Verzweiflung gebracht und nur so zu jener Erhabenheit befähigt hatte, die nunmehr inmitten der Fülle von Gegenständen in dem Geschäft, das sich »Havisham’s« nannte, auf Kundschaft wartete.
    »Überall in diesen Kisten verstecken sich dahingeflüsterte Geschichten und Anspielungen auf Geschichten«, hatte Eliza Holland ihr damals gesagt, »man muss nur danach Ausschau halten.«
    Dann hatte sie dem Mädchen einen Tee angeboten.
    Kräutertee.
    »Es sind nicht bloß Gegenstände. Jedes Ding hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Es ist die vergessene Vergangenheit, die noch immer unser Leben bestimmt. Man muss nur Augen und Ohren öffnen, um es sehen und hören zu können.«
    Beide hatten auf den hölzernen Kisten Platz genommen, die sich in allen Formen und Größen im Raum stapelten und das Antiquitätengeschäft eher wie einen gemütlich gestalteten Lagerraum wirken ließen.
    »Du siehst aus«, hatte sie ohne Umschweife festgestellt, »als würde Wittgensteins Gesellschaft auf dich abfärben.«
    Emily hatte sie angestarrt.
    Nichts weiter.
    »Sei mir nicht böse«, war Eliza fortgefahren, »aber es ist dieser Gesichtsausdruck.«
    Emily hatte die Achseln gezuckt.
    Und wieder hatte Eliza lachen müssen. »Du bist ein so hübsches Ding und dennoch so ernst, als hättest du zu lächeln verlernt.«
    Emily hatte ihr das Gegenteil bewiesen und gelächelt.
    Wenngleich nur kurz.
    »Das meine ich.« Eliza hatte sich augenblicklich bestätigt

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