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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Gerümpel herumstand.
    »Was nun?«, fragte Aurora bang.
    Sich zwischen dem Gerümpel zu verstecken würde wohl keinen Sinn machen.
    Peggotty schnappte nach Luft.
    Schüttelte den Kopf.
    Beide starrten auf die verschlossene Tür.
    Hielten den Atem an.
    »Da!«
    Aurora sah es.
    Nebel, der durch den Türrahmen drang.
    »Was nun?«
    Peggottys Frage wurde nicht beantwortet.
    Stattdessen bemächtigen sich Furcht und Hoffnungslosigkeit der beiden, als dem beißenden Geruch nach Meer und Regen die Nebelschwaden folgten. Gierig und boshaft und hungrig wie ein Tier, das seine Beute in der Falle wusste.
    Während die Zeiger der Uhr in der Küche von Hampstead Manor ihre Kreise zogen, verließen wir Moorgate und nahmen die Circle Line bis zur Baker Street, wo die langen Rolltreppen uns hinauf in ein winterliches London brachten. Das letzte Stück der Strecke bis nach Marylebone wollten wir zu Fuß zurücklegen, da, wie ich dachte, die frische Luft uns beiden gut tun würde.
    Das Mädchen, das mir schweigsam durch das dichte Schneetreiben folgte, erinnerte sich an einige Zeilen, die der berühmte Dichter einst über die mächtigen Familien Manderley und Mushroom zu Papier gebracht hatte. Nur hatte er den Häusern in seinem Stück andere Namen gegeben und später dann sogar den Namen der Stadt geändert und die Handlung ins ferne Verona verlegt.
    »Zwei Häuser, beide von gleich edlem Blut und hier in London, wohin wir uns wenden, entfachten zorn’gen Streit und Zwist, und Bürgerblut, ach floss von Bürgerhänden.«
    Manchmal, dachte Emily, holt die Wahrheit die Dichtung eben ein, und die Zeilen, die einst niedergeschrieben worden waren, erwachten wohl nach und nach erneut zum Leben in der Stadt der Schornsteine. Denn einst hatte es Unruhen in London gegeben, viele an der Zahl. Die Aufstände von Whitechapel waren nur eines von vielen Kapitel in der Geschichte der Metropole gewesen, die mit dem Blut der Bürger geschrieben worden waren, und wollte man ein Drama aus all dem Leid weben, dann wären die Wappen mit den roten und schwarzen Rosen wohl allgegenwärtig.
    Die rote Rosen, die sich um einen Baum wanden, bildeten das Wahrzeichen der Familie Manderley. Das Symbol von Mushroom Manor hingegen waren Rosen, wie man sie nur tief unten in den Gewölben von Blackheath zu finden vermochte. Schwarze Rosen mit giftigen Dornen. Rosen, in deren tödlichem Dickicht sich ein Schmetterling aufgespießt hatte.
    »Sagen Sie mir, was Sie denken?«, fragte Emily.
    Ich warf ihr einen Blick von der Seite zu.
    »Und sagen Sie jetzt nicht, ich solle keine Fragen stellen.«
    Also gut!
    »Ich denke das, was auszusprechen mir im Moment fern liegt.«
    Dr. Dariusz hatte vieles gesagt.
    Und vieles nicht.
    »Glauben Sie, dass Mushroom Manor dahintersteckt?«
    »Dem Offensichtlichen, Miss Laing, ist niemals zu trauen.«
    »Aber hat meine Mutter im Nebel denn nicht die Bilder von Blackheath erblickt?«
    »Das sagten Sie bereits.«
    »Und wenn es so ist?«
    »Zu sehen«, gab ich ihr zu bedenken, »heißt aber nicht gleich, auch zu glauben.«
    Emily wirkte nachdenklich.
    »Warum wollen die Black Friars die Ermittlungen übernehmen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Aber Sie geben zu, dass dies höchst ungewöhnlich ist.«
    »Ja, das ist es.«
    Normalerweise betrauten die Black Friars die Metropolitan mit solchen Aufgaben. Oder aber sie zogen Trickster wie Emily zu Rate.
    »Sie wollen etwas vor uns geheim halten.«
    Dachte sie etwa an Paris?
    »Wie auch immer«, murmelte ich, »etwas ist faul an dieser Sache.«
    Emily musste an ihre kleine Schwester denken, an Mara Manderley, die besser kennen zu lernen sie damals im Waisenhaus so sehr gehofft hatte. Eleonore Manderley, ihre herrschsüchtige Großmutter und Oberhaupt des elfischen Hauses vom Regent’s Park, hatte die kleine Mara vor mehr als einem Jahr der Obhut Charles Dodgsons entrissen und höchstselbst die Erziehung des Mädchens übernommen.
    Wie oft hatten Emily und Mara in den dunklen Nächten Bilder und Gefühle ausgetauscht. Allein in ihrer Dachkammer hatte Emily ihre Gedanken auf die lange Reise nach Llandudno geschickt. Über Wiesen und Wälder waren sie auf den Flügeln der Nacht gereist, hinüber nach Wales, wo die Welt an den Klippen endet, dorthin, wo man allzeit die salzige Gischt des Ozeans riechen kann. Wo das kleine Mädchen, das mittlerweile acht Jahre alt war, auf einem Landsitz in seinem Bettchen gelegen und in seinen Träumen Besuch von seiner großen Schwester erhalten hatte.

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