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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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von einst, und Aurora, der bewusst war, dass Emily am Ende die einzige Familie war, die sie jemals gehabt hatte, wiederholte die Worte, als seien sie Bestandteil einer Verschwörungsformel: »Was da auch kommen mag.« Das zarte Flüstern schwebte im Raum wie ein Duft, und dann legte Emily die Geige an und spielte eine Melodie, die das Flüstern umarmte und in Töne kleidete, die bis zu den Herzen der Mädchen vordrangen und dort blieben, weil sie nie mehr verklingen wollten.
    Am Morgen des nächsten Tages brachen wir in aller Frühe auf.
    »Wir haben eine Verabredung«, verkündete ich den beiden Mädchen beim Frühstück.
    Dass die beiden keinen Schlaf gefunden hatten, sah man ihnen an.
    »Wir sind gleich da«, murmelte Emily. Das rote Haar hing ihr struppig ins Gesicht.
    »Nur einen Tee noch, bitte«, flehte Aurora.
    Ich ging unruhig in der Küche auf und ab, während Peggotty die beiden in aller Seelenruhe versorgte. Demonstrativ warf ich Blicke zur Wanduhr, die aber mit lethargischer Nichtbeachtung gestraft wurden.
    »Wir sind fertig«, verkündete Aurora schließlich und erhob sich.
    Emily gähnte. »Völlig fertig.«
    Kinder!
    »Ich verspäte mich nur ungern!«
    Mit der gebotenen Eile brachen wir auf und legten die Strecke bis zum Britischen Museum zu Fuß zurück. Es war wenig los in den Straßen, und der Berufsverkehr erwachte erst langsam zum Leben. Der Schneefall der Nacht hatte seine Spuren hinterlassen und hinderte die Pendler aus den Vorstädten am schnellen Vorwärtskommen.
    »Nun?«
    Die beiden Mädchen warfen mir müde Blicke zu.
    »Was meinen Sie?«, wollte Emily wissen.
    »Weckt die Kälte endlich Ihre Lebensgeister?«
    Sie verdrehte die Augen. Seufzte. »Oh, fragen Sie nicht.«
    Dann schlang sie den langen Schal fester um den Hals.
    So wanderten wir am University College vorbei, wo bereits die ersten Lernwilligen eintrafen.
    »Haben Sie die Schule über Ihr Fernbleiben informiert?«
    Emily sah mich trotzig an.
    Wie gehabt …
    Aurora zeigte den gleichen Gesichtsausdruck.
    Nun denn.
    In Anbetracht der Umstände …
    »Peggotty wird sich wohl darum kümmern«, murmelte ich.
    Das tat sie meistens. Peggotty, die schon in Mylady Hampsteads Diensten gestanden hatte, als ich als Junge nach London gekommen war, war wohl die beste gute Seele, die man sich nur denken konnte, und ohne sie wäre der Haushalt von Marylebone wohl schon vor Jahren im Chaos versunken.
    »Wohin gehen wir?«
    »Zum Britischen Museum.«
    Emily, die sich seit Monaten nicht mehr dorthin begeben hatte, wirkte nachdenklich.
    Ich schwieg geflissentlich.
    Aurora sagte: »Ich denke immer noch viel an ihn.«
    Die Mädchen sahen mich an.
    Was sollte ich sagen?
    Maurice Micklewhite hatte leere Plätze in unser aller Herzen hinterlassen.
    »Früher konnte ich mir die Bibliothek niemals ohne ihn vorstellen«, sagte Aurora.
    »Ich weiß, was Sie meinen.« Dabei wollte ich es belassen.
    Keine weiteren Worte mehr, die Erinnerungen waren.
    Wir hatten schließlich eine Verabredung in der Bibliothek, und die Dinge, die es zu untersuchen galt, waren von ernster Natur. Zu ernst, als dass wir es uns hätten erlauben können, abgelenkt zu sein.
    Also beschleunigte ich meine Schritte.
    Und die Mädchen folgten mir.
    Gower Street.
    Bedford Square.
    Britisches Museum.
    Die riesigen Säulen wirkten erstarrt in Eis wie nie, und als wir die Stufen zum Eingang hinaufstiegen, da wurde Emily bewusst, wie sehr sie diesen Ort seit Maurice Micklewhites Tod gemieden hatte. Der Pförtner, den Emily noch von früher kannte und der dem Mädchen aufmunternd zuzwinkerte, ließ uns eintreten, obwohl die Räumlichkeiten um diese Uhrzeit noch für den Publikumsverkehr geschlossen waren.
    »Er erwartet Sie im Lesesaal«, richtete er uns aus.
    »Es hat sich nicht viel verändert«, murmelte Emily.
    »Tut es das jemals?«
    Sie gab mir keine Antwort darauf.
    Und ich hatte auch keine erwartet.
    Kurz darauf betraten wir den runden Lesesaal der Nationalbibliothek. Drei Etagen mit dichten Bücherreihen bedecken die Wände, und darüber spannt sich eine riesige Kuppel, die von zwanzig gusseisernen Säulen getragen wird. Das grünliche Licht vieler Leselampen erhellte den Raum, und weiter hinten im Saal wurden wir eines leisen Raschelns gewahr, das zu einem Schatten gehörte, der zwischen den Regalreihen stand.
    »Sie haben sich verspätet«, hörte Emily eine Stimme sagen.
    Hatte ich es geahnt!
    »Wir sind aufgehalten worden«, entschuldigte ich uns.
    Ein junger Mann mit

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