Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen
schulterlangem pechschwarzem Haar, durch das sich blaue Strähne zogen, stellte das staubige Buch, in dessen Seiten er versunken gewesen war, ins Regal zurück, als er uns nahen sah. Er trug einen dunklen Anzug, der altmodisch und ein wenig schäbig wirkte. Eines der stahlblauen Augen versteckte sich hinter dem spiegelnden Rundglas eines kleinen Monokels, das an einer Kette baumelte. Das andere Auge wirkte argwöhnisch und lauernd.
Emily fiel auf, dass der junge Mann kaum älter als sie selbst war.
Er trug an jedem Ohr einen Ring.
»Master Wittgenstein«, begrüßte er mich.
Seine Stimme war angenehm ruhig, doch schien sich etwas Schneidendes, Bissiges zwischen den Worten zu verbergen. »Miss Fitzrovia«, begrüßte er das Mädchen, das er offenbar kannte. Dann wendete er sich Emily zu, und sofort fühlte sie sich beobachtet, auf eine Art, die ihr nicht angenehm war. »Und Sie müssen die berühmte junge Miss Manderley sein.« Irgendwie schien er das Talent zu haben, die meisten seiner Worte überzubetonen.
Emily zog ein Gesicht.
»Emily Laing«, stieß sie wütend ihren Namen hervor. »Nicht Manderley.« Sie hasste diese Bemerkungen von Menschen, die sie nicht kannte und die für sich in Anspruch nahmen, sie zu kennen.
Seine hellen Augen schienen spöttisch zu funkeln, als er erwiderte: »Verzeihen Sie mir dieses zweifelsohne unverzeihliche Vergehen, Miss Laing.« Er verbeugte sich, ohne sie aus den Augen zu lassen, und zeigte ein Lächeln, das Emily nicht einzuordnen vermochte.
Lag es also an mir, das Eis zu brechen. »Darf ich Ihnen Master Marlowe vorstellen.«
Der junge Mann streckte Emily eine Hand entgegen, an deren Mittelfinger ein seltsamer Ring steckte. »Tristan«, sagte er versöhnlich.
»Emily«, sagte Emily und betonte erneut: »Laing.«
Dieses Kind!
»Womit die Formalitäten geklärt wären«, grummelte ich.
Der Bibliothekar klatschte kurz in die Hände. »Folgen Sie mir, Wittgenstein. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Er konnte sich einen Blick auf Emily nicht verkneifen. »Ihnen allen!«
Dann ließ Tristan Marlowe meine Schutzbefohlene stehen, wo sie stand, und würdigte sie keines Blickes mehr.
»Ich habe gefunden, wonach zu suchen Sie mir aufgetragen haben, Wittgenstein.«
»Das ist gut. Die Dinge entwickeln sich nicht gerade so, wie es mir gefällt.«
Marlowe führte mich durch den Lesesaal.
Die Mädchen folgten uns.
»Wer ist der Typ?«, fragte Emily hinter vorgehaltener Hand.
»Tristan Marlowe«, antwortete Aurora nur, »der neue Bibliothekar.«
Wütend sah Emily dem jungen Mann hinterher. »Er ist unfreundlich.«
»Er meint es nicht so.«
»Du kennst ihn?«
»Nicht sehr gut. Ich bin nur eben recht oft hier.« Sie zuckte die Achseln. »Na ja, und er auch.«
Emily wirkte zerknirscht. »Er ist eingebildet.«
»Er ist eben ein wenig verschroben.«
»Und herablassend.«
Verschroben. Ha! Es klang ihr viel zu gönnerhaft, wie Aurora das sagte.
»Ich kann ihn nicht leiden.«
Womit für Emily erst mal die Fronten geklärt waren.
»Ich habe etwas herausgefunden«, hörte sie Tristan Marlowe verkünden, der uns an einen Tisch mit einem riesengroßen Buch geführt hatte, an dem wir Platz nahmen.
Lady Mina, die eine junge Rättin war und zudem meine Stiefschwester, war ebenfalls anwesend. Sie hatte die vergangene Nacht im Museum übernachtet, und wie es schien, steckte ihr der Schlaf noch in den glänzenden Barthaaren.
»Die Rättin hat mir Gesellschaft geleistet«, sagte Marlowe kurz angebunden.
Wir haben einiges herausgefunden. Das kleine Tier setzte sich auf die Hinterbeine, und die winzige Nase bewegte sich schnüffelnd.
Emily hatte Lady Mina seit einer ganzen Woche nicht mehr zu Gesicht bekommen, was nicht ungewöhnlich war. Immerhin war Mina eine Rättin, und es kam nicht selten vor, dass sie wochenlang in der uralten Metropole verschwand, um den Geschäften nachzugehen, denen Ratten nun einmal nachgehen.
»Wir haben uns lange nicht gesehen«, sagte Aurora und streichelte sanft das weiche Fell des Tieres.
Lady Mina lächelte, wie Ratten es tun, legte das Köpfchen schief und fiepte leise. Es ist gut, dass du wieder bei ihr bist, flüsterte sie dem Mädchen zu. Emily hat dich vermisst.
Die Angesprochene warf dem Tier einen gespielt bösen Blick zu.
Einer musste das mal sagen.
»Was haben Sie uns zu sagen, Marlowe?«, brachte ich unser Anliegen auf den Punkt.
Lady Mina trat zwei Schritte zurück, sodass wir alle in das wirklich riesige Buch sehen konnten.
Emily
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