Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
erkannte flüchtig holzschnittartige Illustrationen, die ein Schiff auf stürmischer See zeigten.
    »Dies«, erklärte der Bibliothekar, »ist die Nuzhatu-al-Qulub, die König Sanherib von Assyrien einst in den Ruinen von Babylon gefunden hat. Im akkadischen Original war jenes Epos auf dreißig Tafeln verfasst worden, doch hat im 5. Jahrhundert vor Christus ein Schriftgelehrter aus Bagdad namens Al-Mustaufi al-Quazwini die Geschichte auf Papier niedergeschrieben. Später dann fiel das Buch christlichen Kreuzrittern in die Hände, die es nach Rom brachten, wo der Papst eine Abschrift anfertigen ließ.« Er klopfte auf den Einband. »Nach langen Jahren der Wanderschaft ist das Werk bei uns gelandet, und zwar dort, wo niemand es mehr gelesen hat.«
    »Im Archiv.«
    »Sie sagen es, Wittgenstein.«
    »Worum geht es in dem Buch?«, fragte Emily.
    Tristan Marlowe warf ihr kurz einen abfälligen Blick zu.
    Ohne sie weiter zu beachten, sagte er an mich gerichtet: »In großen Teilen behandelt das Epos die Geschichte des schwimmenden Hauses, das ein gewisser Varuna erbaut haben soll, um damit den Fluten des Gottes Teschub zu entrinnen.«
    »Kommt mir irgendwie bekannt vor«, entfuhr es Emily.
    Tristan Marlowe funkelte sie herablassend an. »Wie schön, dass die kleinen Mädchen heutzutage noch die alten Geschichten kennen.«
    So!
    Damit hatte er den Bogen endgültig überspannt. Sie als kleines Mädchen zu bezeichnen war eindeutig der Impertinenz zu viel.
    Emily war sauer, und das sah man ihr an.
    »So ist er immer«, flüsterte Aurora. »Auch zu den anderen Besuchern.«
    »Netter Zeitgenosse.«
    Emily schmollte.
    Sollte er doch seine Geschichte erzählen.
    Was er auch tat.
    Flüssig und wortgewandt und ohne sich um die bösen Blicke des rothaarigen Mädchens zu seiner Rechten auch nur im Entferntesten zu kümmern.
    Gebannt lauschten wir seinen Worten.
    Auch Emily.
    »Seit Wochen schon suche ich in den alten Schriften des Zweistromlandes nach Hinweisen auf etwas, das Ähnlichkeit mit den seltsamen Nebeln besitzt, die London im Moment heimsuchen.« Er klemmte sich das Monokel ins Auge und wirkte regelrecht verkniffen, als er in den Seiten des alten Buches blätterte. »In Mesopotamien betete man einst zu Kurmani. Er war der Urvater aller anderen großen Götter, und die anderen Götter waren ihm somit untertan.«
    Dieser große Gott erschuf das Leben und die Erde und die Menschen, und als er sah, dass die Menschen den rechten Pfad verlassen hatten, da sprach er mit Teschub, der über Wolken und Winde herrschte. Endlosen Regen sollte er zur Erde schicken, damit alles Böse von den reißenden Fluten hinweggeschwemmt würde.
    »Doch es gab immer noch Menschen, die zu den alten Göttern beteten und ihnen Opfergaben darbrachten. Diese aber sollten von dem Schicksal verschont bleiben.« Er deutete auf einen Holzschnitt, der einen Berg zeigte mit einem riesigen Gebäude in Form eines Schiffes darauf. »Agri Daghi«, fuhr Tristan Marlowe fort, »das war der Name, den die Menschen dem Berg gegeben hatten. Berg des Schmerzes nannte man den schneebedeckten Giganten, an dessen Hängen das Leben karg und voller Entbehrungen war.«
    »Sie meinen Ararat?«
    Lady Mina nickte. So nennen ihn die Israeliten.
    Namen, das hatte Emily gelernt, gab es viele, doch das war nicht wichtig.
    Von Bedeutung für die Geschichte war ein einzelner Bauer, der dort oben mit seiner Familie hauste und wahrlich ein gläubiger Mann war.
    Varuna war sein Name.
    Teschub erschien Varuna in einem tosenden Hagelsturm und trug ihm auf, ein Schiff aus Ton und Holz zu erschaffen, das groß wie ein Haus sein sollte.
    »Die bekannte Welt, so verkündete ihm der Gott der Winde und Wolken, würde in nur wenigen Wochen in den gerechten, tosenden Wassern versinken.«
    Manche Geschichte, dachte Emily, scheint man zu kennen.
    Und fragte sich, worauf diese hier hinauslaufen würde.
    »Varuna begann also mit dem Bau eines Schiffes, das mehrere Stockwerke maß.«
    »Einer Arche.«
    Tristan lächelte, wenn auch nur kurz. »So nennen wir das Schiff, das Varuna gebaut hat.«
    Es war ein schwimmfähiger Bau mit einem Kiel, Masten, Segeln und einem Ruder. Wenn die Wolken den Blick auf den Berg freigaben, dann konnte man bis in weit entfernte Täler den riesigen Kasten sehen, der dort oben entstand, und die Menschen begannen sich zu fragen, was Varuna mit diesem seltsamen Bauwerk beabsichtigte.
    Sie verspotteten ihn und lachten ihn aus, doch Varuna baute unermüdlich weiter an seiner

Weitere Kostenlose Bücher