Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen
Arche.
Scharen von Tieren zogen zum Agri Daghi, und Varuna, der ein gutes Herz besaß, nahm die meisten von ihnen mit an Bord. Selbst als der erste zaghafte Regen einsetzte, kamen immer noch neue Tiere zum Berg, und die Menschen im Tal lachten nur umso schallender, gab sich der seltsame Kauz vom Berg doch immer weniger mit seinesgleichen ab und suchte die Gesellschaft von Insekten, Vögeln und anderem Gezücht.
»Varuna und seine Familie schlossen sich schließlich in der Arche ein«, fuhr Tristan Marlowe fort, »und als die Fluten immer stärker wurden, da kamen die ersten Menschen den Berg herauf und wollten auch mit an Bord.«
Varuna aber schickte sie fort, worauf sie zornig wurden. Mit Gewalt und Feuer versuchten sie in die Arche zu gelangen, doch der Regen fraß die Flammen auf, bevor sie Schaden hätten anrichten können, und die Waffen, die Varuna und die Seinen erbaut hatten und die den Segen des Wolkengottes besaßen, verwandelten den Zorn der Menschen in frühen Tod und Furcht.
Die Fluten stiegen immer weiter.
Der Gedanke an die tosenden Wasser bereitete der kleinen Rättin sichtliches Unbehagen, kannte sie doch die reißenden Ströme, die sich bei starkem Regen in der Kanalisation unter London bildeten und den Nagern zum schnellen Verderben werden konnten.
»Der Wolkengott wütete mit aller Gewalt in jenen Tagen.«
Dörfer wurden fortgespült, und die leblosen Körper der Menschen trieben in den tosenden Fluten. Ebenen und Wüsten wurden zu Flüssen und Meeren und einst mächtige Berge zu Inseln. Dorthin zog es die letzten Menschen. Mordend und wie von Sinnen, suchten sie alle in den Schutz der Berggipfel zu gelangen, ein jeder nur auf sein eigenes Glück bedacht.
»Aber die Wasser waren unbarmherzig und rissen alles Leben in die dunkle Tiefe, denn die Welt war ein Meer geworden.«
»Und Varuna?«
»Er überlebte und mit ihm seine Familie.«
Ihr Schiff trieb auf dem neuen Weltenmeer dahin, und lange noch hörten sie die Schreie der Ertrinkenden, die überall auf den Wassern trieben und sich an allem, was schwamm, festkrallten.
»Die persische Variante der bekannten Geschichte aus dem Alten Testament«, stellte ich fest.
Tristan Marlowe nickte nur. »Warten Sie ab, was ich Ihnen jetzt erzählen werde.«
Emily ertappte sich bei dem Gedanken daran, wie sehr sich Tristan, wenn er über Bücher und Geschichten sprach, wie ein Kind verhielt. So überaus arglos und hemmungslos begeisterungsfähig, dass sie schon fast sein rüpelhaftes Verhalten von vorhin vergessen hätte.
»In der Nuzhatu-al-Qulub steht, dass die Schreie und Flüche der Ertrinkenden über den Wassern geschwebt hätten wie verdorbener Odem.«
Darauf also wollte er hinaus.
»Der Nebel«, flüsterte Aurora.
Lady Mina bestätigte unser aller Befürchtungen: Der Odem der sterbenden Sünder, der wabernd über den Wassern trieb, fand seinen Weg in die Arche hinein und versteckte sich dort zwischen den Vorräten.
So geschah es, dass ein Teil der Boshaftigkeit, die Kurmani und Teschub hatten ausmerzen wollen, überlebte.
»Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende.«
»Denn es gab Probleme.«
»Ja.«
Bald schon sah Varuna, dass die hungrigen Wasser zu sinken begannen und die alte Welt, wie sie einst gewesen war, neu entstand. Überall jedoch lagen die leblosen Körper der Sünder, in denen nicht das geringste Leben mehr war, herum und verrotteten schwärend in der glühenden Sonne. Süße Fäulnis lag über der Welt, und so entschied Varuna, das Land der zwei Ströme zu verlassen und das Glück in der Ferne zu suchen.
»Also fuhr er der untergehenden Sonne entgegen.«
So stand es in dem Buch geschrieben.
»Er fuhr westwärts.«
»Das«, meinte Tristan Marlowe, »ist anzunehmen.«
Doch dann geschah etwas Unerwartetes.
Eines Tages entdeckte Varuna eine seltsame Krankheit, die sich unter den Tieren der unteren Decks ausbreitete.
»Fassen Sie Sich kurz«, schlug ich vor.
»Ich gebe mir Mühe.«
»Die Zeit rennt.«
Jetzt war es an Marlowe zu schmollen.
»Sehr schnell fand Varuna heraus, dass etwas dort unten hauste.«
Etwas, das nicht greifbar war.
Tief in den Eingeweiden der Arche.
Nicht lange dauerte es, und man erzählte ihm beängstigende Geschichten von einem boshaften Nebel, der sich dort unten versteckt halte.
»So rief er den Gott Teschub an und fragte ihn um Rat.«
Teschub offenbarte Varuna, was sich da an Bord seines Schiffes versteckt hielt, und er gab ihm die Macht, diesem Bösen zu begegnen. Varuna
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