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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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gefunden hat. »Denn hier steht geschrieben, dass die letzten Atemzüge der sündigen Menschen von Sodom und Gomorrha heiß und brennend über die Ebene trieben und der Blick, den Lots Frau zurückwarf, als Einladung verstanden wurde, in die Körper der Mädchen zu fahren.«
    »Dann war dies der eigentliche Grund dafür, dass es der Frau verboten gewesen war, zurückzuschauen.«
    »Sie sagen es.«
    Die Boten Gottes mussten geahnt haben, dass sich der sündige Odem ein neues Heim suchen würde.
    »Die Töchter Lots trugen also die letzten Atemzüge der sündigen Sterbenden beider Städte in sich.«
    »Heiß und brennend wie eine unersättliche Dürre«, sagte Tristan Marlowe dramatisch.
    »Deshalb also das frevelhafte Verhalten in der Höhle.«
    »Sie sagen es.«
    Der sündige Atem bemächtigte sich schon im Mutterleib der Kinder, die Lot mit seinen Töchtern gezeugt hatte, und als die Mala’ak ha-Mawet, die sich noch in der Nähe befanden, davon erfuhren, da verschlossen sie die Höhle mit einer Steinlawine.
    »In der Dunkelheit der Höhle«, fuhr Marlowe fort, »haben sich die Töchter vom Fleisch ihres Vaters ernährt, und als die Kinder vor der Zeit geboren wurden, da öffnete sich ein Abgrund und verschlang die Neugeborenen und den heißen Atem, der in ihren Mündern lebte.«
    »Was ist mit ihnen geschehen?«
    »Nach dem, was hier steht, haben die Mala’ak ha-Mawet dafür gesorgt, dass sie in den Limbus gekommen sind.«
    Erschrocken sah Aurora den jungen Mann an. »Sind Sie sicher?«
    »So steht es hier geschrieben.«
    »Und das heißt?«
    Er zuckte die Achseln. »Dass wir es mit uralten Geschichten zu tun haben. Die düstere Fabel von Sodom und Gomorrha entstammt der Frühzeit hebräischer Geschichte und wurde weitererzählt, noch bevor sich die Israeliten im Gelobten Land niedergelassen haben.«
    »Der Wahrheitsgehalt der Geschichte ist also höchst zweifelhaft.«
    »Sie sagen es.«
    »Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie das recht oft sagen?«
    Verdutzt starrte Tristan Marlowe sie an. »Was meinen Sie?«
    Aurora sagte: »Sie sagen es.«
    Marlowe räusperte sich.
    »Jeder Geschichte«, lenkte er ab, »wohnt eine gewisse Wahrheit inne.«
    »Aber was hat dies alles mit London zu tun?«
    »Gute Frage.«
    »Auf die Sie eine Antwort wissen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht.«
    Schweigen.
    Er hob den Zeigefinger. Die hellen Augen funkelten. »Aber ich habe eine Vermutung.«
    »Dieser Ort hier«, flüsterte Emily fassungslos, »muss einmal wunderschön gewesen sein.«
    In einer geräumigen Höhle tief unterhalb von Richmond befanden wir uns, einem verzweigten Gewölbe aus hellem Sandstein, das wohl mühelos die Abtei von Westminster gefasst hätte, wäre das mächtige Bauwerk entschlossen genug gewesen, hier unten sein Dasein zu fristen.
    Prunkvolle Gewächshäuser, die einst oben in London erbaut worden waren, hatten sich hier unten einen neuen Platz gesucht, an dem sie ihren Lebensabend würden verbringen können. Elegante Stahlträger wuchsen wie lange Arme aus den Höhlenwänden heraus und verbanden sich zu gläsernen Häusern, in deren Innerem Pflanzen wuchsen oder Tiere lebten. Eine Sprinkleranlage hoch oben an der Höhlendecke überzog die Wildnis mit einem Netzwerk aus filigranen Rohren und Leitungen.
    Farne und Mangrovenbäume wuchsen bis hinauf zur Höhlendecke, von der warmes Wasser auf all die Palmen und Pinien herabtropfte und unten auf dem Boden Rinnsale, Bäche und kleine Seen bildete, in denen einst allerlei Tiere gelebt hatten.
    »Hier leben jene Wesen, die Entdecker, Händler und Reisende während der Kolonialzeit nach London mitgebracht haben. Die meisten der Kreaturen und Pflanzen haben sich hier unten ein neues Zuhause geschaffen.« So hatte ich dem Mädchen Kew Gardens Hall beschrieben.
    Emily konnte sich lebhaft vorstellen, wie dieser Ort noch vor kurzer Zeit von Geräuschen erfüllt worden war. Wie Vögel mit buntem Gefieder auf den Bäumen gesessen und ihre Lieder gesungen hatten. Insekten mochten umhergeschwirrt sein, während die Botaniker in ihren weißen Kitteln und Schürzen und seltsamen Sonnenbrillen Blüten und Pflanzensäfte eingesammelt und Stoffe daraus fabriziert hatten, die sie dann überall in der uralten Metropole verkauft hatten.
    Unförmige Gerätschaften, die wie Ansammlungen von altem Schrott wirkten, standen inmitten der Pflanzenvielfalt. Skurril anmutende Systeme aus durchsichtigen Rohren, rostigen Drähten und sich fortwährend bewegenden, irgendwie

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