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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Schicksal die arme Hündin verdammt gewesen wäre.
    »Es ist das infizierte Blut des Wirtstieres, aus dem eine Art Sirup gewonnen wird, der Schmerzen lindert und Rauschzustände herbeiführen kann.« Doch damit nicht genug: »Die Substanz macht süchtig und kann Nebenwirkungen mit sich bringen, die ich nicht näher umschreiben möchte.«
    Emily winkte ab. Sie hatte genug gehört.
    Damit also handelte Mushroom Manor.
    »Und Dr. Dariusz benutzt dieses Zeug in seinem Sanatorium?«
    »Nicht unbedingt dieses hier«, sagte ich mit einem Kopfnicken in Richtung der toten Hündin. »Aber es gibt eine Vielzahl gefährlicher Pflanzen und abnormer Methoden, deren Essenzen zu gewinnen.«
    Auch das, wusste Emily, war die uralte Metropole. Wo Menschen lebten, gab es Abgründe.
    Wieder erschallte ein Schrei.
    Ein Hilferuf, vielleicht.
    Unartikuliert.
    Dieses Mal näher.
    »Folgen Sie mir!«
    Nach einigen Metern erreichten wir eine Lichtung, auf der jemand den Boden aufgewühlt und dann wieder zugeschüttet hatte. So jedenfalls sah es aus. Als habe sich etwas wirklich Großes aus dem Inneren der Erde nach oben gegraben und das entstandene Loch gleich wieder verschlossen.
    Ein alter Mann lag neben dem Haufen Sand. Er trug einen hellen Anzug, und eine Art Tropenhelm lag neben ihm auf dem Boden. Das greise Haar stand ihm struppig vom Kopf ab.
    Emily schwindelte, als sie den Mann erkannte. »Professor Pickwick«, entfuhr es ihr.
    Sofort rannten wir zu ihm hin.
    Emily erinnerte sich an den Augenblick, in dem sie Pickwick zum ersten Mal begegnet war. Vor zwei Jahren in den Tiefen der Hölle, die eine heiße Wüstenei gewesen war.
    Als ich mich neben ihn kniete, erkannte er mich.
    »Sie?«
    »Wen haben Sie erwartet?«
    Er hustete keuchend.
    »Ich bin zu spät.«
    Die einst so wachsamen Augen des alten Mannes wirkten jetzt unendlich müde, die lange gekrümmte Nase geschrumpft. Das schüttere, nunmehr greise Haar aber ließ den Professor und Höllenforscher noch immer wie einen streitsüchtigen hageren Kampfhahn aussehen.
    »Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein.« Die Stimme war nur mehr ein Krächzen. Er hob eine Hand, und entsetzt mussten wir feststellen, dass die Haut ganz vertrocknet und brüchig wie Pergament wirkte. Überhaupt schien sein ganzer Körper ausgetrocknet zu sein, was ihn auf schreckliche Weise wie eine sprechende Mumie aussehen ließ.
    »Wo ist Eliza«, platzte Emily heraus, »wo ist Lilith?«
    »Tot, hoffe ich«, presste er hervor.
    So viel Hass verbarg sich hinter diesen Worten.
    Pickwicks schmale Augen wirkten leer und waren ohne jeden lebendigen Glanz, denn auch ihnen war Feuchtigkeit entzogen worden. Und als er nach Emilys Arm tastete, da bemerkten wir erst, dass er erblindet war.
    »Was meinen Sie damit?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Schloss die Augen.
    »Pandaemonium«, stammelte er, schluckte.
    Hustete.
    »Mala’ak ha-Mawet.«
    Er schnappte nach Luft.
    Hustete erneut.
    »Wir brauchen Wasser«, stellte ich fest und sah mich um.
    Außer der brackigen Brühe in den Tümpeln und Seen, die langsam über die Bäche in die Abwasserkanäle von Richmond floss, gab es kein zumutbares Wasser mehr weit und breit. Alles Wasser in Kew Gardens Hall war entweder verdampft, oder aber es trieben Kadaver darin herum.
    Der alte Mann hustete.
    Schnappte panisch nach Luft.
    Blind tastete er nach der Hand des Mädchens.
    Ergriff sie.
    Und legte sie sich auf die Stirn.
    Mit einem Mal verstand Emily, was er von ihr wollte.
    »Er stirbt«, stellte ich fest.
    Und Lady Mina fügte unnötigerweise hinzu: Ich kann es riechen.
    Emily zögerte. »Soll ich es tun?«
    Ich trat neben sie.
    »Es ist Ihre Entscheidung.«
    Sie nickte.
    Atmete tief durch.
    »Also gut.«
    Dann schloss sie die Augen und sah, was Pilatus Pickwick gesehen hatte.
    Sah …
    Eine Wüstenei in der Hölle, die sie bereits kannte. Da war ein mächtiger Palast mit hohen Zinnen, der Pandaemonium hieß und einst der Wohnsitz des Lichtlords Lucifer gewesen war. Doch nun war der Ort verlassen, denn die Hölle war ohne König. Und Wesen, die Mala’ak ha-Mawet waren, gingen dort ein und aus. Dunkel, stark und voller Tatendrang, standen sie an den Balustraden und fingen etwas ein, das heiß war wie al-Khamsin, der wehende Wüstenwind, und doch so fremd wie nichts, was das Mädchen je in Worte hätte fassen können. Dann wurden andere Bilder geboren. Ein beschwerlicher Weg durch Eis und Schnee. Saftiges Grün, mit einem Mal. Männer in weißen Kitteln, mit denen Pickwick in

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