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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Sprünge zur Seite machten, ohne jedoch genau zu wissen, was sie da angestoßen hatte. »Dumme Menschen verhalten sich dumm«, erklärte er dem Mädchen.
    »Das habe ich schon einmal gehört.«
    »Ach?«
    »Ja, von Wittgenstein.«
    Tristan musste leise in sich hineinlächeln. »Master Wittgenstein war auch ein Schüler McDiarmids.« Eine Feststellung, die alles zu erklären schien, denn danach sagte Marlowe nichts mehr dazu.
    Eilig stiegen sie in den nächstbesten Zug der Victoria Line ein, Richtung Walthamstow Central. Als draußen die Haltestelle Highbury & Islington erschien, da stellte Aurora zum ersten Mal eine Frage nach Magister McDiarmid aus Islington.
    »Er ist Alchemist, wie Ihrer Freundin Mentor.«
    »Und?«
    »Er war mein Lehrer.«
    Seit einem halben Jahr arbeitete Tristan Marlowe nun schon in der Nationalbibliothek, und Aurora Fitzrovia begegnete ihm mehrmals täglich, und doch hatte sie bisher kaum etwas über den Jungen in Erfahrung bringen können, der mit einer so wichtigen Aufgabe betraut worden war und der doch erst in Emilys und ihrem Alter sein mochte. Er war ein zurückhaltender Mensch, leicht zu erzürnen und den armen Mitarbeitern gegenüber allzeit ungeduldig, ganz anders, als Maurice Micklewhite es gewesen war.
    Hätte sie den ersten Eindruck, den der junge Mann bei ihr hinterlassen hatte, beschreiben müssen, dann wären Emilys erste Worte diesbezüglich mehr als passend gewesen: »Ich kann ihn nicht leiden.«
    Nach einer Weile aber hatte sie ihn zumindest zu respektieren gelernt – immerhin …
    Ansonsten jedoch wusste sie nichts über ihn. Und da Tristan Marlowe eigentlich nie zum Plaudern aufgelegt war, erfuhr sie auch recht wenig über ihn.
    »Wo haben Sie McDiarmid kennen gelernt?«
    »Sie sind heute aber sehr neugierig.«
    Aurora wusste nicht, ob er sich darüber ärgerte oder nicht. »Ich versuche nur Konversation zu betreiben.« Eine neutrale Aussage, die ihm zumindest ein Lächeln entlockte.
    »Hm.«
    Aurora sagte jetzt besser nichts.
    Islington entschwand.
    Die meisten der Fahrgäste verließen den Zug in Finsbury Park.
    »Er hat mich in Rickmansworth aufgegabelt. McDiarmid, meine ich.« Das bleiche Gesicht des Bibliothekars spiegelte sich im Fenster, und wenn draußen die Positionslichter vorbeihuschten, dann war es, als zerrissen sie für wenige Augenblicke die Maske, die Tristan Marlowe trug. »Damals lebte ich noch auf der Straße.«
    Aurora überlegte, ob sie ihm von ihrem eigenen Leben erzählen sollte, und fragte sich zugleich, wie viel Tristan Marlowe wohl schon davon wusste.
    »McDiarmid nahm mich mit nach Prag, und dort lernte ich zu sein, was ich heute bin.«
    Der Zug wurde langsamer.
    Bremste ab.
    Draußen erschien der U-Bahnhof Seven Sisters.
    »Wir sind da, Miss Fitzrovia.«
    Tristan Marlowe erhob sich und schritt nach draußen, ohne sich nach Aurora umzudrehen. Die Erleichterung, dieses Gespräch beenden zu können, versteckte er hinter unruhiger Geschäftigkeit.
    Am Ende, dachte das Mädchen, ist und bleibt er doch ein merkwürdiger Mensch.
    Während sie den Bahnhof durchquerten, sprach Marlowe kein Wort mit ihr und schien angespannt zu sein. Sie durchquerten Röhrengänge, fuhren Rolltreppen hinauf und hinab, bis Aurora jegliche Orientierung verloren hatte.
    »Dort«, verkündete Tristan Marlowe endlich, »dort ist es.«
    Sie folgte dem Fingerzeig. »Sie meinen … das da?!«
    Er nickte.
    Es war ein altes Plakat, das griechische Spezialitäten und Sirtaki tanzende Mädchen vor einem Berg mit einer Schneekrone zeigte und direkt neben den öffentlichen Toiletten hing.
    »Seit wann tanzen Mädchen denn Sirtaki?«
    Marlowe schwieg.
    Wirkte genervt.
    Das Bild jedenfalls sah furchtbar kitschig aus, und keiner der Passanten schenkte ihm auch nur einen Hauch von Beachtung.
    Ein Schriftzug in eckigen Buchstaben zierte das Bild, dessen Farbe verblasst und teilweise mit Graffitis besprüht war.
    »The Pleiades’ Place?«
    Aurora warf ihrem Begleiter einen Blick zu.
    Der zuckte die Achseln. »Weshalb sollten sie sich verstecken?«
    Er trat vor und verbeugte sich vor einer der gemalten Tänzerinnen im Vordergrund des Plakats.
    Die Papierfrau öffnete die Augen und streckte die Hand aus.
    Es sah aus, als sähe man jemandem dabei zu, wie er die Hand auf eine Fensterscheibe legt, während man selbst auf der anderen Seite steht. Tristan Marlowe berührte das schmutzige Plakat dort, wo die Hand der Papierfrau die seine empfing. Finger aus Papier packten die Hand des Jungen, und

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