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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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sehen, die auf den Boden gerichtet und vom rabenschwarzen Haar verborgen waren.
    Dann blickte sie (aus irgendeinem mir unverständlichen Zufall) herauf zu mir. Sie hatte ein liebreizendes Antlitz mit olivfarbenem Teint, das auch oval wie eine Olive geschnitten war und etwas an sich hatte, das mir das Herz zerriß. Obwohl es mir unbekannt war, gab es mir abermals das Gefühl von Wiederkehr. Mir war, als hätte ich in einem früheren Leben gestanden, wo ich nun stand, und sie dort unten gesehen, wie ich sie nun sah.
    Sie und die Schatten der Prätorianer gerieten allmählich außer Sicht; ich rückte von Bogen zu Bogen, um sie noch zu sehen. Und sie schaute herauf, mußte bald über die Schulter ihres hellgrauen Gewandes schauen, ehe sie vollends außer Sicht geriet.
    Bei diesem letzten Blick wirkte sie ebenso liebreizend und unbekannt wie beim ersten. Ihre Schönheit war Grund genug für jeden Mann, ihr nachzuschauen, aber warum hatte sie mir nachgeschaut? Falls ich ihren Ausdruck richtig zu deuten wußte, war es eine Mischung aus Furcht und Hoffnung; vielleicht hatte auch sie Ahnung von einem Drama, das sich bei einer zweiten Gelegenheit vollziehen sollte.
    Hundertmal überdachte ich meine Geschicke in diesem Geheimen Haus, ob als Thecla allein oder als Severian vereinigt mit Thecla oder als der alte Autarch. Ich konnte den Moment nicht finden – dennoch existierte er, also erforschte ich, während ich weiterging, die verschleierten Leben, die hinter dem letzten liegen, Erinnerungen, die kaum Erwähnung finden in dieser Geschichte, die verblassen, je wunderlicher sie werden, und zurückreichen bis Ymar vielleicht und vor Ymar ins Zeitalter der Mythen.
    Dennoch überragte alle diese dunklen Leben – und ungleich lebhafter, wie ein Berg in allen Einzelheiten sichtbar bleibt, wenn fahler Dunst den Wald zu seinen Füßen umhüllt – der wirbelnde weiße Stern, der ich war. Ich war auch dort; und ich sah vor mir in noch scheinbar großer Ferne (obwohl ich wußte, daß sie viel näher war, als sie den Eindruck erweckte) die scharlachrote Sonne, die nach so vielen Jahrhunderten meine Vernichtung und Verklärung zugleich sein sollte. Zu ihrer Linken und Rechten standen der wackere Skuld und schmollende Verthandi wie belanglose Monde. Die Urth schob sich als nachtfinstrer Fleck davor, verlor sich nahezu in ihren Sprenkeln; und ich stieg verwirrt und verwundert hinunter in der schwindenden Nacht.
     

 
Bimbambum!
     
    Als ich das Geheime Haus betrat, hatte ich nicht recht gewußt, wohin ich wollte. Vielmehr hatte ich kaum darauf geachtet und unbewußt meine Schritte zum Amarantenen Hypogeum gelenkt, wie sich schließlich zeigte. Ich wollte erfahren, wer auf dem Phönixthron saß und, wenn möglich, meinen Anspruch darauf geltend machen. Wenn die Neue Sonne käme, dann bräuchte unser Gemeinwesen einen Herrscher, der wußte, was geschehen war, so bildete ich mir ein.
    Eine bestimmte Tür im Geheimen Haus öffnete sich hinter dem Samtbehang, der hinter dem Thron aufgespannt war. Diese hatte ich im ersten Jahr meiner Regentschaft mit einem Wort versiegelt; außerdem hatte ich den schmalen Raum zwischen Wand und Vorhang mit Glocken versehen, so daß jeder, der dort ginge, ein Gebimmel auslöste, das der Throninhaber nicht überhörte.
    Nun öffnete sich die Tür lautlos auf mein Geheiß. Ich trat hindurch und schloß sie hinter mir. Die Glöckchen, die an seidenen Fäden hingen, bimmelten hell; darüber raunten größere Glocken, an deren Klöppel die Fäden hingen, mit ehernen Stimmen; Staub rieselte herab.
    Ich rührte mich nicht und lauschte. Schließlich verstummte das Gebimmel, aus dem ich Tzadkielchens Lachen herausgehört hatte.
    »Was bedeutet das Läuten?« Er war eine alte Frau, die mit schmächtiger überschnappender Stimme sprach.
    Eine tiefe Männerstimme antwortete. Ich verstand die Worte nicht.
    »Glocken!« rief die alte Frau. »Wir haben Glocken gehört. Bist du so taub geworden, Chiliarch, daß du sie nicht gehört hast?«
    Nun wünschte ich mir in der Tat das Batardeau, denn damit hätte ich den Behang schlitzen und somit hinausspähen können. Als die tiefe Stimme wieder einsetzte, überlegte ich, daß andere, die gestanden hatten, wo ich stand, wohl den gleichen Gedanken und ein scharfes Messer obendrein hatten. Ich tastete den Behang ab.
    »Wir sagen, es hat geläutet. Soll sich jemand erkundigen.«
    Vielleicht gab es viele solche Schlitze, denn ich fand binnen kürzester Zeit einen, der nur eine

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