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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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hellen (ob der Geschwindigkeit nun bläulichen) Stern, der ich selbst war. Nun war ich wieder ganz. Und nahe! Der helle Skuld, der mit der Dämmerung aufging, war weniger brillant und hatte einen geringeren Durchmesser.
    Lange – lange kam es mir zumindest vor – studierte ich mein anderes Selbst, das noch weit außerhalb der Bahn von Dis war. Ein-, zweimal hörte ich Stimmen, aber kümmerte mich gar nicht darum. Als ich mich schließlich umsah, war ich allein.
    Oder fast. Ein geweihtragender Hirsch beobachtete mich von einer Kuppe zu meiner Rechten; seine Augen leuchteten, während der Leib im tieferen Schatten der Bäume unterging, die den Hügel bekrönten. Zu meiner Linken stierte eine Statue mit blinden Augen. Eine letzte Grille zirpte, aber im Gras glitzerte Reif.
    Wie in der Wiese am Madregot hatte ich den Eindruck, an einem vertrauten Ort zu stehen, den ich freilich nicht zu benennen vermochte. Ich stand auf Stein, und aus Stein war auch die Tür, die ich aufgestoßen hatte. Drei schmale Stufen führten zu einer gemähten Wiese hinunter. Ich nahm die Stufen, während die Tür hinter mir lautlos zuglitt und dabei, wie es schien, ihr Aussehen veränderte, so daß sie nach dem Schließen überhaupt nicht mehr als Tür zu erkennen war.
    Ich stand in einer flachen Senke, die von Rand zu Rand gut tausend Schritt maß und zwischen sanfte Hügel eingebettet war. Diese waren mit Türen versehen, die teils nicht breiter waren als Zimmertüren, teils wuchtiger als die steinerne Tür im Obelisk hinter mir. Die Türen und die gepflasterten Wege, die davon abgingen, verrieten mir, daß ich die Anlagen im Haus Absolut betreten hatte. Der lange Schatten des Obelisken wurde nicht vom Vollmond geworfen, sondern von der Sonne, die eben über den Horizont lugte; der Schatten zeigte auf mich wie ein Pfeil. Ich stand im Westen – in einer Wache oder weniger hätte sich der Horizont über mich erhoben und verdeckt.
    Schon bereute ich es, dem Chiliarchen die Klaue gegeben zu haben; ich wollte die Inschrift auf der steinernen Tür lesen. Dann besann ich mich darauf, wie ich Declan untersucht hatte in der dunklen Hütte, trat näher heran und machte von meinen Augen Gebrauch.
     
    Zu Ehren von
    SEVERIAN DEM GROSSEN
    Autarch der Republik
    Rechtmäßiger Beherrscher der Urth
    Memorabilus
     
    Es war eine schlanke Säule aus Chalcedon und ein gehöriger Schock. Ich wurde für tot gehalten, soviel stand fest; und dieses liebliche Tal war zu meinem Ersatzgrab bestimmt worden. Lieber gewesen wäre mir die Nekropolis bei der Zitadelle – wo ich wirklich die letzte Ruhe finden sollte, zumindest dem Glauben nach – oder die steinerne Stadt, worauf die erste Aussage mit mehr Nachdruck zuträfe.
    Dies führte mich zur Überlegung, wo genau ich mich befände in der Anlage und ob Vater Inire oder jemand anders mein Denkmal habe aufstellen lassen. Ich schloß die Augen und ließ die Gedanken schweifen und stieß auf die kleine Bühne, die Dorcas, Baldanders und ich für Dr. Talos zusammengezimmert hatten. Es war die gleiche Stelle, und mein absurdes Denkmal stand genau dort, wo ich in einer andern Zeit vorgegeben hatte, Nod für eine Statue zu halten. Als mir dies einfiel, schaute ich zur Statue, die ich beim Wiedereintritt in Briah gesehen hatte, und stellte fest, daß es sich, genau wie vermutet, um eine jener harmlosen halbautomatischen Gebilde handelte. Langsam rückte es näher und teilte die Lippen zu einem archaischen Lächeln.
    Einen Augenblick lang bewunderte ich das Spiel meines Lichts auf seinen blassen Gliedmaßen. Allerdings hatte ich den Eindruck, daß erst zwei oder drei Wachen vergangen waren seit dem Anbruch des Tages auf den Hängen des Mount Typhon, und die Lebenskraft, die ich nun verspürte, verwehrte mir, Statuen zu betrachten oder Ruhe zu suchen in einer der Lauben, die über den ganzen Garten verstreut waren. Ein verborgenes Tor unweit der Stelle, wo der Hirsch gestanden hatte, gewährte Zutritt zum Geheimen Haus. Ich lief hin, murmelte das Wort, das Macht darüber hatte, und trat ein.
    Wie seltsam, aber auch wie gut es war, wieder einmal durch die schmalen Gänge zu streifen! Die erstickende Enge und die gepolsterten leiterartigen Stiegen weckten tausend Erinnerungen an Kapriolen und Stelldichein: die Hetzjagd auf die weißen Wölfe, die Züchtigung der Gefangenen des Vorzimmers, die Wiederbegegnung mit Oringa.
    Hätte es zugetroffen, wie von Vater Inire ursprünglich beabsichtigt, daß die verschlungenen Gänge und

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