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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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vollgestopften Gemächer nur er und der herrschende Autarch kannten, so wäre es hier ebenso trist wie in einem Kerker zugegangen und bestimmt freudloser. Die Autarchen freilich hatten sie ihren Gespielinnen offenbart und die Gespielinnen wiederum den eigenen Verehrern, so daß an jedem schönen Frühlingsabend gut und gern ein Dutzend Intrigen liefen und zuweilen vielleicht gar bis zu hundert. Der Provinzverwalter, der gewisse Träume von Abenteuer oder Romantik ins Haus Absolut mitbrachte, merkte selten, daß sie sich keine zwei Ellen von seinem schlafenden Haupt auf Strümpfen vorbeistahlen. Während ich mich mit derartigen Gedanken zerstreute, marschierte ich rund eine halbe Meile (wobei ich von Zeit zu Zeit innehielt, um einen Blick in öffentliche Hallen oder Privatwohnungen zu werfen), als ich über die Leiche eines Meuchelmörders stolperte.
    Er lag auf dem Rücken, wie er bestimmt schon ein Jahr lang gelegen hatte. Das verdorrte Fleisch hing in Fetzen vom Gesicht, so daß er grinste, als würde er eben merken, der Tod sei nichts weiter als ein letzter Scherz. Die ausgestreckte Hand hatte das giftgetränkte Batardeau losgelassen, das nun im Handteller lag. Als ich mich neugierig über ihn und die Waffe beugte, fragte ich mich, ob er es fertiggebracht habe, sich selbst zu schneiden; schon viel Seltsameres hatte sich im Geheimen Haus zugetragen. Wahrscheinlicher war, so fand ich, daß er dem wehrhaften geplanten Opfer zum Opfer gefallen war, daß man ihm etwa aufgelauert hatte, als seine Mission aufflog, oder ihn verwundet hatte, ehe er sich in Sicherheit bringen konnte. Ich überlegte schon, ob ich sein Batardeau an mich nehmen sollte als Ersatz für das Messer, das ich vor Chiliaden verloren hatte, aber eine vergiftete Klinge bei mir zu führen, das widerstrebte mir.
    Eine Fliege schwirrte mir ums Gesicht.
    Ich scheuchte sie weg und staunte gewaltig, als sie sich ins dürre Fleisch grub; zwei Dutzend mehr folgten dem Beispiel.
    Ich trat zurück; vor meinen Augen vollzogen sich alle schaurigen Phasen der Verwesung in umgekehrter Reihenfolge, wie die Bälger im Armenhaus die Jüngsten nach vorn stoßen: die verhutzelte Haut schwoll an, wimmelte von Maden, bekam Totenblässe und nahm schließlich Farbe und ein nahezu lebendiges Aussehen an; die schlaffe Hand schloß sich um das rostige Stahlheft und umklammerte das Batardeau schließlich wie ein Schraubstock.
    An Zama erinnert, schickte ich mich an, die Flucht zu ergreifen, als der Tote sich aufsetzte, oder ihm die Waffe zu entwinden und ihn damit umzubringen. Vielleicht hoben diese Impulse einander auf; ich tat nämlich weder das eine noch das andere, sondern trat schlicht zur Seite, um ihn zu beobachten.
    Langsam stand er auf und starrte mich aus leeren Augen an. Ich sagte: »Steck das lieber weg, bevor sich jemand daran weh tut!« Solche Waffen werden normalerweise in der Schwertscheide verwahrt, aber er hatte eine eigene am Gürtel hängen; er befolgte meinen Rat.
    »Du bist durcheinander«, meinte ich. »Es wäre klug, wenn du hierbleibst, bis du wieder ganz da bist. Folge mir nicht.«
    Er gab keine Antwort, und eine solche erwartete ich auch nicht. Ich zwängte mich an ihm vorbei und ging davon, so schnell ich konnte. Nachdem ich rund fünfzig Schritt zurückgelegt hatte, hörte ich sein Schlurfen. Ich rannte, so leise ich konnte, und bog bald um diese, bald um jene Ecke.
    Wie weit ich gekommen bin, das weiß ich nicht. Mein Stern war noch im Aufsteigen begriffen, und mir war, als könnte ich die ganze Bahn der Urth ablaufen, ohne zu ermüden. Ich rannte an vielen seltsamen Türen vorbei, die ich nicht öffnete, wußte ich doch, daß sie auf die eine oder andere Weise vom Geheimen Haus zum Haus Absolut führten. Schließlich gelangte ich an eine Öffnung, die nicht durch eine Tür verschlossen war; ein starker Luftzug trug das Schluchzen einer Frau heran, so daß ich stehenblieb und hineinging.
    Ich fand mich in einer Loggia wieder mit Bögen auf drei Seiten. Das Schluchzen der Frau kam offenbar von links; ich trat unter einen der Bögen und spähte hinaus. Er gewährte Ausblick in die breite zugige Galerie, die wir Pfad der Luft nannten. Die Loggia war eine Anlage, die wie bloßes Schmuckwerk wirkte, aber Funktionen erfüllte im Geheimen Haus.
    Schatten auf dem Marmorboden weit drunten verrieten mir, daß die Frau von einem halben Dutzend kaum sichtbarer Prätorianer umringt war, wovon einer sie stützte am Ellbogen. Zunächst konnte ich ihre Augen nicht

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