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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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wachrüttelte, sahen wir keine Wesensverwandtschaft in all dem, was wir studiert hatten.«
    »Nun ist sie endlich gekommen, Madame. Die Kraft, die Eure Glocken anschlägt, hat das kalte Herz der Urth wieder erwärmt. Nun läuten sie den Tod der Kontinente ein.«
    »Ist das die Kunde, die du uns bringst, Riese? Wer wird, wenn die Kontinente sterben, noch leben?«
    »Diejenigen auf Schiffen vielleicht. Diejenigen, deren Schiffe durch die Lüfte oder das Nichts kreuzen, ganz gewiß. Diejenigen, die bereits unterm Meer leben wie ich selbst seit fünfzig Jahren. Aber es spielt keine Rolle. Was …«
    Baldanders ernster Vortrag wurde unterbrochen von einer schlagenden Tür ein Stück weiter hinten im Amarantenen Hypogeum und hastigem Laufschritt. Ein junger Offizier rannte zum Chiliarchen und salutierte, woraufhin Baldanders und die Frau mit dem Stab große Augen machten.
    »Sieur …«, wandte sich der Mann an seinen Vorgesetzten, aber sein banger Blick wanderte immer wieder zu Valeria.
    »Was gibt’s?«
    »Sieur, noch ein Riese …«
    »Noch ein Riese?« Valeria beugte sich offenbar vor. Ich sah Juwelen glitzern und eine graue Haarsträhne darunter.
    »Eine Riesin, Autarch! Nackt!« Obwohl ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, wußte ich, daß sich Valeria wohl an Baldanders wandte, als sie fragte: »Und was kannst du uns dazu sagen? Ist’s vielleicht dein Weib?«
    Er schüttelte den Kopf. An sein rotes Gemach in seiner Burg erinnert, fragte ich mich, wie er wohl so leben mochte in unterseeischen Höhlen, wovon ich mir kein Bild machen konnte.
    »Der Hauptmann bringt die Riesin zum Verhör«, sagte der junge Offizier.
    Der Chiliarch nickte. »Wollt Ihr einen Blick auf sie werfen, Autarch? Wenn nicht, so kann ich die Vernehmung durchführen.«
    »Wir sind müde. Wir ziehen uns jetzt zurück. Sag uns morgen früh, was du erfahren hast.«
    »S-sie s-sagt«, stammelte der junge Offizier, »in einem Schiff der Cacogen wären eine Frau und ein Mann gelandet.«
    Schon glaubte ich, dies bezöge sich auf Burgundofara und mich; allerdings würden sich Abaia und seine Undinen schwerlich um ganze Epochen verschätzen.
    »Und was sonst noch?« wollte Valeria wissen.
    »Sonst nichts, Autarch, nichts!«
    »Es steht in deinen Augen geschrieben. Wenn es nicht bald über  deine Lippen kommt, so soll es mit dir begraben sein.«
    »Es ist nur ein unbegründetes Gerücht, Autarch. Von unsern Männern wurde nichts gemeldet.«
    »Raus damit!« Der junge Offizier war verzweifelt. »Es heißt, Severian der Lahme sei gesehen worden, Autarch. In den Gärten, Autarch.«
    Jetzt oder nie. Ich hob den Vorhang und trat hinaus, wobei sämtliche Glöcklein hell lachten und darüber eine große Glocke dreimal anschlug.
     

 
Abendflut
     
    Die Überraschung beruht auf Gegenseitigkeit«, stellte ich fest. Und das galt für mindestens drei Personen.
    Baldanders (den ich nie mehr wiederzusehen glaubte, als er in den See hechtete, und den ich dennoch wiedergesehen hatte, als er vor Tzadkiels Richterstuhl für mich kämpfte, wobei er ganz so aussah, wie ich ihn in Erinnerung hatte) war so groß geworden, daß es mir schwerfiel, ihn weiter Mensch zu nennen. Sein Gesicht war noch derber und entstellter, seine Haut so weiß wie die Haut der Wasserfee, die mich einst vor dem Ertrinken gerettet hatte.
    Das Mädchen, dessen Bruder um eine Münze gebettelt hatte vor ihrer Hütte, war zu einer gut Sechzigjährigen geworden, und das Grau des Alters überdeckte die hageren braunen Züge langer Wanderschaft. Hatte sie sich eben noch auf den Stab gestützt in einer Art, die erkennen ließ, daß er mehr war als ein Amtszeichen, stand sie nun mit leuchtenden Augen aufrecht wie eine junge Weide.
    Von Valeria will ich nichts schreiben – außer daß ich sie überall auf den ersten Blick erkannt hätte. Ihre Augen waren nicht gealtert. Es waren immer noch die strahlenden Augen des Mädchens, das pelzvermummt über das Atrium der Zeit zu mir gekommen war; und die Zeit hatte keine Macht über sie.
    Der Chiliarch salutierte und kniete vor mir nieder wie einst der Kastellan der Zitadelle, und nach einer Pause, die sich peinlich zog, sanken auch seine Männer und der junge Offizier auf die Knie. Ich bedeutete ihnen, aufzustehen, und fragte, um Valeria Zeit zu geben, sich zu fangen (denn ich fürchtete schon, sie würde in Ohnmacht fallen oder Schlimmres) den Chiliarchen, ob er ein junger Offizier gewesen sei, als ich auf dem Phönixthron saß.
    »Nein, Autarch. Ich war noch ein

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