Die Urth der Neuen Sonne
Sieur, niemand mehr gesehen, als wir uns auf Gedeih und Verderben den Wellen auslieferten, wenn ich so sagen darf, Sieur. Wir sind außerordentlich glücklich, Sieur, geradezu entzückt …« Er besann sich. »Natürlich hätte einem tüchtigen jungen Offizier Eurer Statur nicht viel passieren können, Sieur, wo wir doch auch durchgekommen sind, Sieur. Freilich mit knapper Not, Sieur. Mit knappster Not, Sieur. Trotzdem haben sich die jungen Damen um Euch gesorgt, Sieur, was Ihr ihnen, hoffe ich und glaube ich, verzeihen werdet.«
»Da gibt’s nichts zu verzeihen«, erwiderte ich. »Ich danke euch allen für die Hilfe.« Der alte Seemann, dem das Boot gehörte, vollführte eine Reihe von Gesten, die sein dicker Mantel teils verdeckte und denen ich nicht zu folgen vermochte, woraufhin er in Windrichtung ausspuckte.
»Unser Retter«, verkündete Odilo strahlend, »heißt …«
»Ist doch einerlei«, schimpfte der Seemann. »Runter mit euch und das Hauptsegel gestellt. Klüver steht auch nicht. Sputet euch, oder wir kentern.«
Es war zehn Jahre und länger her, daß ich das letzte Mal auf der Samru gesegelt war; allerdings hatte ich damals gelernt, wie ein Gaffelsegel zu bedienen ist, und vergesse ich nichts. Ich hatte das Gaffelsegel gestellt, ehe Odilo und Pega das Geheimnis seiner simplen Takelung durchschauten. Indem ich ein bißchen mit dem Stag nachhalf, machte ich den Klüver flott und gab mehr Schot.
Den Rest des Tages verlebten wir in Furcht vor dem Sturm, jagten mit den Winden dahin, die ihm vorauseilten, und entkamen ihm, aber konnten uns dessen nie ganz sicher sein. Gegen Abend schien sich die Gefahr gelegt zu haben, woraufhin wir beidrehten. Der Seemann gab einem jeden von uns einen Becher Wasser, einen Brocken hartes Brot und einen Happen Rauchfleisch. Ich wußte, daß ich Hunger hatte, merkte jetzt aber, daß ich, wie alle andern auch, schier umkam vor Hunger.
»Wir müssen gründlich Ausschau halten nach Eßbarem«, verlangte er von Odilo und den Damen. »Manchmal findet man bei einem Wrack Keksdosen oder Wasserfässer. Und hier haben wir das wohl größte Wrack aller Zeiten.« Er musterte das Boot und die Fluten ringsum, auf denen noch die letzte Glut der neuen Sonne der Urth lag. »Es gibt Inseln, gab Inseln, aber vielleicht finden wir sie nicht, und wir haben nicht genug Vorräte und Wasser, um bis in die Xanthischen Länder zu gelangen.«
»Ich habe beobachtet«, meinte Odilo, »daß die Dinge im Laufe des Lebens einen Tiefpunkt erreichen, von wo aus es wieder aufwärts geht. Die Zerstörung des Hauses Absolut, der Tod unsrer geliebten Autarchin – falls sie nicht durch die Gnade des Increatus irgendwo überlebt hat …«
»Hat sie«, erklärte ich, »glaub mir.« Als er mich aus großen Augen ansah, in denen Hoffnung aufflackerte, konnte ich nur unschlüssig hinzufügen: »Ich spüre es.«
»Ich glaube Euch, Sieur. Euer Empfinden ehrt Euch. Aber wie gesagt, es hätte nicht schlimmer werden können für uns alle.« Er sah sich um, und selbst Thais und der alte Seemann nickten.
»Dennoch leben wir. Ich entdeckte einen schwimmenden Tisch und konnte damit den ärmsten Damen meine Hilfe anbieten. Gemeinsam entdeckten wir weiteres Mobiliar und zimmerten unser Floß zusammen, zu dem bald unser beglückter Gast vorstieß. Und schließlich wurden wir vom Kapitän gerettet, wofür wir ihm ungemein dankbar sind. Das nenne ich eine Tendenz. Unsre Lage wendet sich vorerst zum Guten, glaube ich.«
Pega legte ihm die Hand auf den Arm. »Du wirst gleichfalls Frau und Familie verloren haben, Odilo. Es ist bewundernswert, daß du nicht davon sprichst, aber wir wissen, wie dir zumute sein wird.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht geheiratet. Jetzt bin ich froh darüber, obwohl ich es oft bedauert habe. Wenn man Haushofmeister eines kompletten Hypogeums und wenn man wie ich in meiner Jugend insbesondere Haushofmeister des Apotropäischen Hypogeums ist, so erfordert das unablässigen Einsatz; es bleibt einem kaum eine Wache zum Schlafen. Vor dem weithin beklagten Ableben meines Vaters gab es eine Dame, die Kammerzofe einer Chatelaine, wenn ich das sagen darf, die mir Hoffnungen machte – aber die Chatelaine zog sich auf ihre Güter zurück. Eine Weile korrespondierte ich noch mit der Dame.«
Er seufzte. »Dann fand sie wohl einen andern, denn es findet sich immer einer, wenn die Dame es will. Ich hoffe doch, daß er ihrer würdig war.«
Ich hätte gern ein paar tröstliche Worte dazu gesagt; aber
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