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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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wie ich über die Fluten aus. Mir fiel auf, daß ich seinen Namen nicht wußte.
    Ich wollte ihn schon danach fragen, als er sagte: »Denkst, ich weiß nicht, wer du bist?«
    »Schon möglich«, erwiderte ich. »Wenn ja, bist du mir gegenüber im Vorteil.«
    »Die Cacogen können Gedanken eines Menschen abrufen und ihm vorführen. Ich weiß das.«
    »Du hältst mich für ein Eidolon? Ich kenne welche, aber bin keins; ich bin ein Mensch wie du.«
    Vielleicht hatte er mich nicht gehört. »Den ganzen Tag über habe ich dich beobachtet. Ich habe wachgelegen und dich beobachtet, seitdem wir uns schlafengelegt haben. Man sagt, sie weinen nicht, aber das stimmt nicht, denn ich habe dich weinen sehen und daran gedacht, was gesagt wird und daß es nicht stimmt. Dann habe ich überlegt, wie schlimm sie sein mögen. Es bedeutet Unglück, wenn man sie an Bord hat, bringt Unglück, wenn man zu viel denkt.«
    »Das wird schon stimmen. Aber wer zu viel denkt, tut es, weil er nicht anders kann.«
    Er nickte. »Wird wohl so sein.«
    Die Sprachen des Menschen sind älter als unser untergegangenes Land; dennoch mutet es mich seltsam an, daß sich in so langer Zeit keine Worte für die Pausen im Gespräch gefunden haben, die allesamt eigene Qualitäten haben und von unterschiedlicher Dauer sind. Unser Schweigen hielt in nachdenklicher Erwartung an, während hundert Wellen gegen den Rumpf schlugen, wozu sich das Schaukeln des Bootes gesellte und das Ächzen des Nachtwinds in der Takelung.
    »Ich wollte sagen, was immer du anstellst mit dem Boot, es trifft mich nicht. Versenk es meinetwegen oder laß es auflaufen.«
    Ich erwiderte, ich täte vielleicht sowohl das eine als auch das andere, allerdings nicht mit Absicht.
    »Du hast mir nie groß was getan, als du noch echt gewesen bist«, bemerkte der Seemann, wiederum nach einer langen Pause. »Ich wäre Maxellindis nicht begegnet, wenn du nicht gewesen wärst – das war womöglich schlecht. Oder auch nicht. Wir hatten ein paar gute gemeinsame Jahre, Maxellindis und ich.«
    Ich beäugte ihn aus den Augenwinkeln, während er aufs unruhige Wasser stierte. Seine Nase war gebrochen, vielleicht mehr als einmal. In Gedanken rückte ich sie gerade und füllte die gefurchten Wangen.
    »Hast mich mal geschlagen, erinnerst du dich, Severian? Wurdest eben Lehrlingswart. Als die Reihe an mich kam, tat ich das gleiche mit Timon.«
    »Eata!« Unwillkürlich packte ich ihn und hob ihn hoch wie früher, als wir zusammen Lehrlinge waren.
    »Eata, du kleine Rotznase, ich hätte nie geglaubt, dich wiederzusehen!« Ich redete so laut, daß Odilo im Schlaf stöhnte und sich reckte.
    Eata machte ein erschrockenes Gesicht. Seine Hand flog zum Messer im Gurt, aber er zog es nicht.
    Ich setzte ihn ab. »Als ich die Zunft reformierte, fehltest du. Mir wurde gesagt, du wärst ausgerissen.«
    »Stimmt.« Er schluckte oder hielt zumindest die Luft an. »Es ist schön, dich zu hören, Severian, auch wenn du nur ein böser Traum bist.
    Wie hast du’s genannt?«
    »Eidolon.«
    »Eidolon. Wenn die Cacogen mir jemand aus meinem Kopf zeigen, so hätt’s auch Schlimmere gegeben.«
    »Eata, erinnerst du dich noch, als wir von der Nekropolis ausgesperrt waren?«
    Er nickte. »Und Drotte wollte, daß ich mich durchs Gitter zwängte, was ich nicht schaffte. Als die Freiwilligen dann aufmachten, lief ich hinein und ließ dich und ihn und Roche stehen. Keiner von euch schien Meister Gurloes besonders zu fürchten, was für mich damals nicht galt.«
    »Wir fürchteten ihn auch, wollten es aber dir gegenüber nicht zugeben.«
    »Klar.« Er lächelte, daß ich seine Zähne blitzen sah im fahlen Mondschein, die eine schwarze Lücke aufwiesen, wo einer ausgeschlagen worden war. »So sind die Jungs, sprach der Skipper, als er seine Tochter vorzeigte.«
    Wenn Eata nicht davongerannt war, so schoß es mir mit einemmal durch den Kopf, dann hatte er vielleicht Vodalus gerettet, hatte er all das gesehen und getan, was ich gesehen und getan hatte. Mag sein, daß es sich in einer andern Sphäre so ereignete. Den Gedanken verwerfend, fragte ich: »Aber was hast du die ganze Zeit getrieben? Erzähl.«
    »Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Als ich Lehrlingswart wurde, war es überhaupt kein Problem, mich heimlich mit Maxellindis zu treffen, sobald das Boot ihres Onkels irgendwo im Algedonischen Viertel anlegte. Ich kam mit Matrosen ins Gespräch und lernte sogar ein bißchen segeln. Als das Fest nahte, hielt ich nicht durch, konnte kein

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