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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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jemanden in schwarzer Scharfrichtertracht, allerdings ohne das übliche Richtschwert sah. Sein erster Gedanke, und das verwundert nicht, war, daß sich der Mann für einen Maskenball verkleidet habe, wie sie ständig in dem einen oder andern Teil des Hauses Absolut veranstaltet werden. Freilich wußte er, daß in unserm Apotropäischen Hypogeum keiner geplant war, hatten doch weder Vater Inire noch der damalige Autarch viel übrig für derlei Lustbarkeiten.«
    Ich lächelte bei der Erinnerung ans Azurne Haus. Die dunkle Dame warf mir einen vielsagenden Blick zu und bedeckte betont die Lippen mit der Hand. Ich indes war nicht gewillt, Odilo in seinem Vortrag zu unterbrechen; nun, da ich nicht länger in den Korridoren der Zeit wandeln sollte, war mir alles, was die Vergangenheit oder Zukunft betraf, unendlich kostbar.
    »Sein nächster Gedanke – und das hätte der erste sein sollen, wie er Mutter und mir oft anvertraute, wenn wir vor dem Kamin saßen – war, daß dieser Carnifex in finstrer Mission ausgesandt war und sich unbeobachtet wähnte. Nun hielt es Vater sofort für unerläßlich, Sieur, in Erfahrung zu bringen, ob er im Auftrag von Vater Inire oder von jemand anders unterwegs sei. Also trat mein Vater beherzt, als hätte er eine Kohorte von Hastarii im Rücken, vor ihn und fragte ihn geradeheraus nach seinem Auftrag.«
    Thais flüsterte: »Wenn er etwas Böses im Schilde führte, hätte er es bestimmt gleich zugegeben.«
    Odilo sagte: »Liebe Frau, ich weiß nicht, wer du bist, weigerst du dich doch, Auskunft zu geben, selbst nachdem unser beglückter Geist verbindlichst seinen aristokratischen Stand offenbart hat. Indes scheinst du arglos zu sein, was die Listen und Intrigen angeht, die tagtäglich – und auch nächstens – in den vielen Korridoren unsres Hauses Absolut geschmiedet werden. Mein Vater war sich durchaus darüber im klaren, daß ein mit einem unenthüllbaren Amt Betrauter auch im Falle des Ertapptwerdens kein Geständnis ablegen würde. Er spekulierte allerdings darauf, daß eine unwillkürliche Geste oder ein flüchtiges Mienenspiel einen Hinweis auf Verrat lieferte, wäre ein solcher beabsichtigt.«
    »War dieser Severian nicht maskiert?« wollte ich wissen. »Du sagst, er habe die Tracht eines Folterers getragen.«
    »Nein, da bin ich mir ziemlich sicher, Sieur, denn mein Vater hat ihn oft beschrieben: verwegenes Gesicht, Sieur, mit einer großen Narbe an der Wange.«
    »Weiß schon!« fiel Pega ihm ins Wort. »Habe ein Porträt und eine Büste von ihm gesehen im Abszissiösen Hypogeum, wo die Autarchin sie untergebracht hat, als sie wieder geheiratet hat. Er sah aus, als könnte er dir, ohne mit der Wimper zu zucken, den Hals abschneiden.«
    Ich hatte das Gefühl, daß mir gerade der Hals abgeschnitten wurde.
    »Ganz recht!« pflichtete Odilo ihr bei. »Mein Vater sagte so ziemlich das gleiche, wenn auch weniger drastisch, soweit ich mich entsinne.«
    Pega betrachtete mich die ganze Zeit über. »Er hatte keine Kinder, nicht wahr?«
    Odilo lächelte. »Nun, das wäre nicht verborgen geblieben, kann ich mir vorstellen.«
    »Legitime Kinder. Ansonsten hätte er allein mit einem Zwinkern jede Dame im Haus Absolut begatten können. Allesamt Beglückte.«
    Odilo entgegnete, sie solle den Schnabel halten. »Ich hoffe doch, daß Ihr Pega verzeiht, Sieur. Denn eigentlich ist’s beinahe ein Kompliment.«
    »Wenn einem gesagt wird, man sehe aus wie ein Halsabschneider? Ja, dergleichen bekomme ich stets zu hören«, bemerkte ich gedankenlos und fuhr ebenso gedankenlos fort, wollte ich doch die Rede auf Valerias zweite Heirat bringen und den Kummer verbergen, der mich befiel. »Aber müßte der Halsabschneider nicht mein Großvater sein? Severian der Große wäre mittlerweile bestimmt achtzig oder älter, wenn er noch lebte. Bei wem soll ich mich nach ihm erkundigen, Pega? Bei Vater oder Mutter? Und meinst du nicht, daß er was an sich haben mußte, wenn er als junger Folterer so manche feine Chatelaine bändigte, selbst wenn die Autarchin sich einen neuen Gemahl suchte?«
    Um das Schweigen, das meinem Wortschwall folgte, zu überbrücken, meinte Odilo darauf: »Diese Zunft ist, glaube ich, abgeschafft, Sieur.«
    »Natürlich glaubst du das. Das glauben die Leute immer.«
    Der ganze Osten war schon schwarz, und unser improvisiertes Floß schaukelte zusehends lebhafter.
    Pega flüsterte: »Nichts für ungut, Hipparch. Es ist nur …« Was immer es war, es ging in einer brausenden Welle

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