Die Urth der Neuen Sonne
hätte schlafen sollen, ich schlief aber nicht. Eine Wache lang oder länger stand ich im Bug und betrachtete bald die Schlafenden, bald das Wasser. Thais lag, wie ich so oft gelegen hatte, mit dem Gesicht nach unten und hatte das Haupt auf die verschränkten Arme gebettet. Die dralle Pega hatte sich eingerollt wie eine zur Frau verwandelte Katze; mit dem Buckel drückte sie dabei Odilo in die Seite. Dieser schlief, die Hände über den Kopf gestreckt und den Bauch in die Luft gereckt, auf dem Rücken.
Eata, der wohl hundemüde war, schlief mehr sitzend als liegend; die Backe ruhte auf dem Bootsrand. Bei seinem Anblick fragte ich mich, ob er mich nach wie vor für ein Eidolon hielte beim Erwachen.
Doch wer war ich, daß ich ihn des Irrtums bezichtigen sollte? Der echte Severian – und ich war überzeugt, daß es den echten Severian einst gegeben hatte – war vor langer Zeit in den Sternen verschwunden. Ich starrte empor zu ihnen und versuchte, ihn zu finden.
Schließlich merkte ich, daß es nicht ging, nicht weil er nicht dort wäre (denn dort war er), sondern weil Ushas sich von ihm abgekehrt hatte und ihn wie viele andere auch hinterm Horizont verdeckte. Denn unsre Neue Sonne ist nur ein Stern unter zahllosen, wenngleich die Menschen, da nur sie sichtbar ist bei Tage, dies leicht vergessen.
Zweifelsohne stellt sich unsre Sonne schön wie alle andern dar, wenn man vom Deck auf Tzadkiels Schiff ausschaut. Ich hielt nach wie vor Ausschau, trotzdem ich wußte, daß ich den Severian, der nicht Eatas Traum war, nie entdecken würde; zuletzt erkannte ich, daß ich nach dem Schiff suchte. Obwohl ich es nicht fand, waren mir die wunderschönen Sterne Entschädigung genug.
Das braune Buch, das ich nicht mehr bei mir trage und das sicherlich mit tausend Millionen andrer Bücher in der ehemaligen Bibliothek Meister Ultans zerstört worden war, schilderte ein großes Heiligtum, das mit einem diamantenbesetzten Vorhang verhüllt war, auf daß kein Mensch das Antlitz des Increatus sähe und davon stürbe. Nachdem die Urth viele Zeitalter auf dem Buckel hatte, bahnte sich ein kühner Mann einen Weg in den Tempel, erschlug sämtliche Wächter und riß um der vielen eingestickten Diamanten willen den Vorhang ab. Die kleine Kammer, die sich hinter dem Vorhang auftat, war leer, so erzählt zumindest die Sage. Als er indes hinaustrat in die Nacht, richtete er den Blick gen Himmel und wurde von Flammen verzehrt. Wie schrecklich, daß wir unsre Geschichte erst kennen, wenn wir sie durchlebt haben!
Vielleicht war es die Erinnerung an jene Sage. Vielleicht war es nicht mehr als der Gedanke an die versunkene Bibliothek, deren letzter Meister, dessen bin ich mir sicher, Cyby gewesen und in der Cyby, möchte ich wetten, ertrunken war. Wie dem auch sein mochte, erst jetzt erkannte ich mit aller Deutlichkeit und Entsetzen, daß die Urth zerstört war, erkannte es, wie ich es nicht einmal erkannt hatte, als ich das zerstörte Häuschen mit dem intakten Schornstein sah, obwohl es mich zu Tode erschreckt hatte. Die Wälder, in denen ich gejagt hatte, waren verschwunden; jeder Baum, jeder Zweig. Millionen kleiner Freisassengüter, die Millionen Melitos ernährt und als genial bewaffnete, unerschrockene Kämpen gen Norden entsandt hatten, die weiten Pampas, aus denen die beherzte, lanzenschwingende Foila abgaloppiert war – all das war verschwunden, jede Wurzel und jeder Grashalm.
Eine Kinderleiche, die sich in den Wellen wiegte, schien mir zu winken. Bei ihrem Anblick verstand ich, daß es nur einen Weg für mich gab, zu sühnen, was ich angerichtet hatte. Eine Welle winkte, der tote Knabe winkte, und während ich mir noch sagte, daß ich nicht den Mut hätte, mir das Leben zu nehmen, spürte ich, wie der Bootsrand meinen Händen entglitt.
Das Wasser schlug über mir zusammen, dennoch ertrank ich nicht. Mir war, als könnte ich das Wasser atmen, dennoch atmete ich nicht. Im Schein von Luna, die nun funkelte wie ein Smaragd, schimmerten die Fluten wie grünes Glas. Langsam sank ich in einen Abgrund, der klarer als Luft wirkte.
In der Ferne ragten riesige Gebilde auf, die hundertmal größer als ein Mensch waren. Manche glichen Schiffen, andre Wolken; eine war ein lebendiger Kopf ohne Rumpf; eine andere hatte hundert Köpfe. Bald entschwanden sie im grünen Dunst, und ich sah unter mir eine Ebene aus Sand und Schlick, wo ein Palast stand, der unser Haus Absolut an Größe übertraf, obwohl er zur Ruine verfallen war.
Nun wußte ich, daß
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