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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ich tot war und daß mir der Tod keine Erlösung brachte. Einen Moment später wußte ich auch, daß ich träumte, daß ich mit dem Krähen des Hahnes (dem kein Magier mehr die leuchtend schwarzen Augen ausstäche) erwachen würde im Bett, das ich mit Baldanders teilte. Dr. Talos würde ihn schlagen, und wir würden losziehen, um Agia und Jolenta zu suchen. Um ein Haar hätte ich wohl den Schleier der Maja zerrissen, jenen schönen Schein, der die letzte Realität verbirgt.
    Dann war er wieder heil, obgleich er noch flatterte im eisigen Wind, der aus der Wirklichkeit in die Traumwelt bläst und uns mitreißt wie die Blätter. Der ›Palast‹, der mich an das Haus Absolut erinnert hatte, war mein Nessus. So groß es auch gewesen sein mochte, es wirkte nun noch größer; die Mauer war an vielen Stellen eingefallen wie die Zitadellenmauer, womit die Stadt wahrlich grenzenlos wurde. Auch viele Türme aus Stein oder Backstein waren eingestürzt, zusammengesackt wie faule Melonen. Eine Makrelenschule tummelte sich, wo alljährlich die Kuratoren in feierlicher Prozession zur Kathedrale gezogen waren.
    Ich wollte schwimmen und merkte, daß ich längst schwamm; selbsttätig arbeiteten Arme und Beine im Rhythmus. Ich stellte die Bewegungen ein, aber stieg nicht (wie ich erwartet hatte) zur Oberfläche. In einer trägen, unsichtbaren Strömung treibend, entdeckte ich das einstige Bett des Gyolls, das unter mir verlief und das nach wie vor stolze Brücken überspannten, die freilich ihres Flusses beraubt waren, war nun doch Wasser überall. Und überall Versunkenes, Verfall, mit wallendem Grün überzogen: Schiffswracks und umgestürzte Säulen. Ich wollte die letzte Luft aus den Lungen pressen, um gleichfalls zu ertrinken. Es blubberte tatsächlich Luft hervor, aber das kalte Wasser, das einströmte, brachte nicht die Kälte des Todes mit sich.
    Ganz allmählich sank ich immer tiefer, bis ich stand, wo ich es mir nie hätte träumen lassen: im Sand und Schlamm am Grunde des Flusses. Ich fühlte mich an Tzadkiels Schiff erinnert, denn der Druck, der auf meinen bloßen Sohlen lastete, reichte eben aus, um mich unten zu halten. Die Strömung zerrte an mir, und ich kam mir vor wie ein Geist, den ein Hauch vertreibt, der Hauch des Exorzisten.
    Ich ging – oder besser gesagt, ich schwamm und tat so, als ginge ich. Jeder Schritt wühlte eine Schlammwolke auf, die wie ein Lebewesen neben mir einherschwebte. Als ich innehielt und nach oben sah, gewahrte ich die grüne Luna als verzerrten Schimmer über den unsichtbaren Wellen.
    Als ich wieder nach unten blickte, sah ich einen vergilbten Totenkopf zu meinen Füßen aus dem Schlick ragen. Ich hob ihn auf; der Unterkiefer fehlte, aber ansonsten war er komplett und unversehrt. Anhand der Größe und des wenig abgenutzten Gebisses tippte ich auf einen Knaben oder Jüngling. Ein andrer also war vor langer Zeit im Gyoll ertrunken, ein Lehrling vielleicht, der vor meiner Zeit gelebt und dessen kurze, traurige Geschichte ich nicht mehr zu Ohren bekommen hatte; vielleicht auch nur ein Junge von den Wohnhäusern, die sich ans dreckige Wasser gedrängt hatten.
    Oder aber es war der Schädel einer armen Frau, die jemand erwürgt und in den Fluß geworfen hatte; auf solche Weise waren allnächtlich Frauen und Kinder und Männer obendrein ums Leben gekommen in Nessus. Als mich der Increatus, so erkannte ich nun, zu seinem Instrument auserkor, um das Land zu vernichten, starben nur Kinder und Tiere in Unschuld.
    Und dennoch empfand ich den Schädel als Schädel eines Knaben, der irgendwie für mich gestorben war: ein Opfer für den Gyoll, der um mich betrogen worden war. Ich hielt ihn, indem ich in die Augenhöhlen griff, schüttelte den Schlamm heraus und nahm ihn mit.
    Lange steinerne Treppen führten ins Flußbett, die Zeugnis davon ablegten, wie oft die Uferdämme erhöht und die Anlegestellen von oben erweitert worden waren. Ich stieg sämtliche Stufen hinauf, obwohl ich sie beinahe ebensogut hätte erschwimmen können.
    Die Wohnhäuser waren allesamt eingestürzt. Ich sah kleine Fische, es waren ihrer mindestens ein paar Hundert, das Geröll umschwärmen; sie stoben in silbrigen Blitzen auseinander, als ich näherkam, und gaben den Blick frei auf einen bleichen, zerfressenen Leichnam. Von nun an scheuchte ich keine Fischschulen mehr auseinander.
    Zweifelsohne gab es massenhaft Tote in der Stadt, über deren Größe die Welt einst staunte. Aber wie war’s um mich bestellt? War nicht auch ich

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