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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ein treibender Leichnam. Mein Arm fühlte sich kalt an, wenn ich ihn berührte, und das Wasser lag mir schwer in den Lungen. Mir war, als wandelte ich im Schlaf. Dennoch schwamm ich – glaubte es zumindest – gegen jede Strömung und sah meine Augen.
    Das verschlossene rostige Tor der Nekropolis stand vor mir, um dessen Stäbe sich wirrer Seetang wand wie Bergpfade. Es war das unveränderte Symbol meiner einstigen Verbannung. Ich stieß mich ab und schwamm einige Züge, wobei ich unbeabsichtigt den Totenkopf schwenkte. Plötzlich schämte ich mich und ließ ihn los; er aber schien mir, vom Sog meiner Hand erfaßt, zu folgen.
    Ehe ich an Bord des Schiffes der Hierodulen ging, das mich zu Tzadkiels Schiff bringen sollte, hatte ich, von kreisenden, singenden Schädeln umringt, in der Luft gekauert. Hier entwickelte sich nun die Wirklichkeit, welche diese Zeremonie angekündigt hatte. Ich wußte es; ich verstand es, und ich war mir meiner Sache sicher: die Neue Sonne mußte tun, was ich nun tat, nämlich schwerelos durch diese überschwemmte Welt zu wandeln, umringt von ihren Toten. Der Verlust der alten Kontinente war der Preis, den die Urth zahlte; dieser Ausflug war der Preis, den ich zahlen mußte, und ich zahlte in diesem Moment.
    Der Totenkopf landete sachte auf der schlammigen Erde, in der die Armen der Stadt seit Generationen die letzte Ruhe gefunden hatten. Ich hob ihn wieder auf. Was hatte der Hauptmann im Erkertürmchen zu mir gesagt?
    Der Beglückte Talarican, dessen Wahnsinn sich als verzehrendes Interesse an den niedrigsten Aspekten des menschlichen Daseins manifestierte, behauptete, daß die Zahl derer, die von den Abfällen anderer leben, zweitausend Gros ausmacht – daß wir, selbst wenn mit jedem Atemzug ein Armer von der Brüstung dieser Brücke springt, ewig leben, denn Nessus gebiert und zerbricht Menschen schneller, als wir atmen.
    Sie stürzen sich nicht mehr hinab, denn das Wasser hat sich auf sie gestürzt. Sie haben endlich ausgelitten; und vielleicht hat mancher überlebt.
    Als ich das Mausoleum erreichte, in dem ich als Kind gespielt hatte, fand ich die lange verklemmte Tür geschlossen vor, nachdem die anrennenden Fluten eine Bewegung vollendet hatten, zu der vielleicht vor einem Jahrhundert angesetzt worden war. Ich legte den Totenkopf auf die Schwelle und schwamm mit aller Kraft zur Oberfläche, auf der güldene Lichter tanzten.
     

 
Alte Länder und neue
     
    Eatas Boot war nirgendwo zu sehen. Wenn ich schreibe, was ich schreiben muß, daß ich nämlich den ganzen Tag und die meiste Nacht geschwommen bin, wird man das für Unsinn halten, dennoch ist es so gewesen. Das Wasser, das die andern salzig nannten, kam mir nicht salzig vor; ich trank, wenn ich Durst hatte, und fühlte mich erquickt. Müde war ich selten; wenn doch, ruhte ich, auf den Wellen treibend, aus.
    Ich hatte mich längst aller Kleider entledigt bis auf die Hose, die ich nun abstreifte. Aus alter Gewohnheit kontrollierte ich die Taschen, bevor ich mich von ihr trennte. Dabei fand ich drei kleine Messingmünzen, das Geschenk Ymars. Der Wortlaut war wie das Bild unkenntlich geworden; und sie waren schwarz angelaufen, womit sie exakt aussahen wie die Altertümer, die sie waren. Ich ließ sie aus den Fingern gleiten und mit ihnen die ganze Urth.
    Zweimal sah ich große Fische, die vielleicht gefährlich waren; mir indes erschienen sie nicht als Bedrohung. Wasserfrauen, wovon Idas vielleicht die kleinste war, zeigten sich nicht. Ebensowenig sah ich Abaia, ihren Herrn, oder Erebus oder andre Ungetüme.
    Die Nacht kam im Geleit dichtgesäter Sterne, und ich ließ mich auf dem Rücken treiben und von den warmen Armen des Ozeans wiegen, während ich sie betrachtete. Wie viele reiche Welten schwebten über mir! Als ich einst von Abdieseus floh und mich in einer Felsnische verbarg, hatte ich dieselben Sterne betrachtet und mir ihre Gefährten vorgestellt und wie Menschen darauf lebten und Städte errichteten, die weniger Böses als die unsrigen kannten. Nun wußte ich, wie töricht solche Träume waren, hatte ich doch eine andere Welt erlebt und als wunderlicher empfunden als alles, was ich mir hätte träumen lassen. Ebensowenig hätte ich die heteroklitische Besatzung an Bord von Tzadkiels Schiff oder die Gierer erträumen können; dennoch kamen beide von Briah wie ich selbst und hatte Tzadkiel nicht gezögert, sie in den Dienst zu nehmen.
    Obgleich ich mich gegen alle derartigen Träume sträubte, kamen sie unaufgefordert. Bei

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