Die Urth der Neuen Sonne
bestimmten Sternen, bloßen Funken, die durch die Nacht flogen, glaubte ich noch kleinere Sterne zu erkennen; und während ich sie betrachtete, erschienen mir vage Bilder, die mich faszinierten und erschreckten. Schließlich zogen Wolken vor die Sterne, und ich fand für eine Weile Schlaf.
Als der Morgen graute, sah ich die Nacht von Ushas dem Antlitz der neuen Sonne weichen. Keine Welt von Briah könnte einen schöneren Anblick bieten, wie ich auch auf Yesod kein schöneres Bild erlebte. Die junge Königin, angetan mit Gold, wie es sich in keinem Bergwerk findet, wallte über die Wellen; und ihre Pracht war so groß, daß dergleichen nie mehr sähe, wer sie sah.
Die Wellen tanzten für sie im Reigen und streuten zehntausend Wassertropfen für ihre Füße, welche sie in Diamanten verwandelte. Eine mächtige Welle rollte daher, denn der Wind frischte auf, und ich wurde von ihr hochgetragen, wie eine Schwalbe von Frühlingslüften getragen wird. Einen Atemzug lang ritt ich auf ihrem Kamm und schaute von dieser Warte ihr Antlitz; und ich wurde nicht geblendet, sondern erkannte das Antlitz als das eigene. Dergleichen ist mir seither nicht mehr widerfahren und wird es vielleicht nie wieder. Zwischen ihr und mir in einem Abstand von fünf Meilen oder mehr tauchte eine Undine auf und erhob ihr zum Gruße die Hand.
Dann sank die Welle nieder und ich mit ihr. Wenn ich gewartet hätte, wäre wohl eine zweite Welle gekommen und hätte mich abermals emporgetragen; aber für vieles (wovon dieser Augenblick für mich das Wichtigste war) gibt es kein zweites Mal, auf daß keine dem ersten Mal nachstehende Erinnerung es trübe. Also tauchte ich ins sonnige Wasser und stieß unentwegt tiefer, um die Kräfte zu messen, die ich erst in der letzten Nacht entdeckt hatte.
Sie waren mir geblieben, obwohl ich nicht mehr halb im Traum schwamm und nicht mehr den Drang verspürte, mein Leben zu beenden. Meine Welt war nun ein Ort von zartestem reinsten Blau mit ockergelbem Grund, den ein goldener Baldachin überspannte. Die Sonne und ich schwebten im Raum und lächelten auf unsre Sphären hinab.
Nachdem ich eine Weile geschwommen war – wie viele Atemzüge lang kann ich nicht sagen, da ich keinen Atem schöpfte –, fiel mir die Undine wieder ein, und so machte ich mich auf die Suche nach ihr. Zwar fürchtete ich sie noch, aber zumindest hatte ich erfahren, daß eine wie sie nicht immer zum Fürchten ist; und obwohl Abaia darauf hingewirkt hatte, die Ankunft der Neuen Sonne zu vereiteln, war die Zeit, in der mein Tod sie verhindert hätte, vorüber. Immer tiefer tauchte ich, denn ich lernte bald, daß man viel leichter entdeckt, was man gegen das Licht vor der hellen Oberfläche sieht.
Aber dann vergaß ich die Undine. Unter mir breitete sich abermals eine Stadt aus, eine mir unbekannte Stadt, bei der es sich niemals um Nessus handelte. Ihre Türme lagen auf dem Meeresgrund; wenige standen noch als Stümpfe. Uralte Wracks ruhten zwischen den Türmen, welche bereits uralt gewesen waren, als die Wracks unter Jubel vom Stapel gelassen wurden als schmucke neue Schiffe mit aufgezogenen Wimpeln und Tanz auf dem Vordeck.
Bei meiner Suche zwischen den Türmen entdeckte ich solch edle Schätze, daß sie Äonen überdauert hatten: prächtige Juwelen und glitzernde Metalle. Aber ich fand nicht, wonach ich suchte: den Namen der Stadt und den Namen der vergessenen Nation, die sie errichtet und an den Ozean verloren hatte, genau wie wir Nessus verloren hatten. Mit Scherben und Muscheln ritzte ich Türstürze und Sockel; dort standen viele Wörter geschrieben, jedoch in einer Schrift, die ich nicht lesen konnte.
Einige Wachen lang schwamm ich und suchte in den Ruinen, ohne den Blick zu heben; aber schließlich glitt ein riesiger Schatten über die sandbedeckte Prachtstraße vor mir, und ich sah die krakengelockte schiffsbäuchige Undine über mich hinwegschießen und im blendenden Sonnenlicht verschwinden.
Sofort vergaß ich die Ruinen. Als ich wieder an der Luft war, stieß ich prustend Wasser und Dunst aus wie eine Seekuh und warf den Kopf zurück, um die Haare aus dem Gesicht zu schütteln. Denn beim Hochschießen hatte ich die Küste gesehen: eine flache braune Küste, von der mich weniger Wasser trennte als den Botanischen Garten einst vom Gyollufer.
In kaum weniger Zeit, als ich brauche, um meine Feder einzutauchen, hatte ich Boden unter den Füßen. Ich watete an Land, obwohl ich die See nach wie vor liebte, wie ich einst die Sterne
Weitere Kostenlose Bücher