Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
freilich keinen kannte) bedeuteten mir, ich solle mich ihnen anschließen, wobei die Mienen dieser Verklärten in ihrem Überschwang jegliche Passanten einluden, sich der Feier anzuschließen.
    Ich lief hin, und ehe ich mich versah, hatte Purn mich bei der Hand gepackt. Angst beschlich mich – er war mir so nahe, daß er mich gleich zweimal hätte niederstechen können. Allerdings war seinem Mienenspiel nichts anderes anzumerken, als daß ich ihm willkommen war. Er rief mir etwas zu, das ich nicht recht verstand, und klopfte mir auf den Rücken. Im nächsten Moment hatte ihn Gunnie zur Seite geschoben, die mir wie bei unsrer ersten Begegnung einen kräftigen Kuß verpaßte.
    »Drückeberger«, sagte sie und küßte mich abermals, diesmal weniger ungestüm, dafür länger. Es hatte keinen Zweck, sie bei dem Tumult auszufragen; außerdem war ich (der ich keinen Freund an Bord hatte außer Sidero) in Wahrheit heilfroh darüber, daß sie Frieden schließen wollten.
    Die Prozession bog durch eine Tür und führte durch einen langen Gang hinunter in einen mir völlig neuen Teil des Schiffes. Die Wände waren immateriell, nicht weil sie etwas Traumhaftes an sich hatten, sondern weil sie irgendwie dünner wirkten als alles Stoffliche und jeden Moment zu bersten drohten, was mich an die billigen Buden und Stände beim Jahrmarkt zu Saltus erinnerte, wo ich Morwenna getötet hatte und einem grünen Mann begegnet war. Und für eine kleine Weile stand ich inmitten des Tumults und versuchte zu verstehen, was es damit auf sich hätte. Eine der vermummten Frauen erklomm einen Stuhl und bat mit einem Händeklatschen um Ruhe. Da kein Wein zur Feststimmung der Matrosen beigetragen hatte, gehorchten sie sogleich und erhielt ich Aufschluß: durch die dünnen Wände konnte ich, wenn auch noch so schwach, die eisige Luft von Yesod rauschen hören. Gewiß hatte ich’s bislang auch gehört, ohne mir darüber bewußt zu sein.
    »Werte Freunde«, begann die Frau, »wir danken euch für die willkommene Aufnahme und Hilfe und für die Güte, die ihr alle uns in vielfältiger Weise entgegengebracht habt an Bord eures Schiffes.«
    Verschiedene Matrosen gaben laut oder leise Antwort, wobei die einen lediglich guten Willen zeigten, während andere glühten vor bäuerischer Höflichkeit, welche das Gebahren von Höflingen so abgeschmackt erscheinen läßt.
    »Viele von euch stammen selbst von Urth, wie ich weiß. Vielleicht sollten wir feststellen, wie viele. Darf ich um ein Handzeichen bitten? Es hebe bitte ein jeder die Hand, der geboren worden ist auf der Welt, die Urth heißt.«
    Fast alle erhoben sie die Hand.
    »Ihr wißt, daß wir die Völker der Urth verdammt haben, und warum. Nun glauben sie, unsere Nachsicht verdient zu haben und die Chance, den Rang wiederzuerlangen, den sie seit alters innehalten …«
    Die meisten Matrosen johlten und jubelten, so auch Purn, nicht aber (wie ich bemerkte) Gunnie.
    »Und sie haben ihre Inkarnation gesandt, um diese einzufordern. Daß ihm der Mut sank und er sich verbarg vor uns, das sollte nicht gegen ihn ausgelegt werden. Vielmehr meinen wir, das so zum Ausdruck gebrachte Schuldgefühl seiner Welt sollte ihnen zu ihren Gunsten angerechnet werden. Wie ihr seht, wird er nun auf Yesod vor Gericht gestellt. Doch wie er auf der Anklagebank die Urth vertritt, so müssen auch andere sie vertreten in den Rängen. Keiner von euch muß mitkommen, aber wir haben die Erlaubnis eures Kapitäns, alle von euch mitzunehmen, die mitkommen möchten. Sie werden aufs Schiff zurückgebracht, bevor es wieder Segel setzt. Wer nicht mitkommen möchte, der soll gehen.«
    Ein paar Leute im Hintergrund entfernten sich.
    Die Frau sagte: »Auch bitten wir alle zu gehen, die nicht auf Urth geboren sind.«
    Noch ein paar zogen sich zurück. Viele von denen, die blieben, wirkten kaum wie Menschen auf mich.
    »Alle übrigen wollen mitkommen?«
    Sie bejahten im Chor.
    Ich rief: »Halt!« und drängte mich nach vorn, um mir Gehör zu verschaffen. »Wenn …«
    Drei Dinge passierten gleichzeitig: Gunnie hielt mir den Mund zu, Purn drehte mir die Arme auf den Rücken, und die seltsame Kammer, die ich dem Schiff zugerechnet hatte, sackte unter mir weg.
    Sie kippte zur Seite und warf die Matrosen zu einem zappelnden Haufen zusammen, und der Fall glich in keiner Weise meinen Sprüngen im Takelwerk. Sofort wurden wir von einer hungrigen Welt angezogen; und obwohl der Hunger schwächer war als auf Urth, kam er mir nach so vielen Tagen in der

Weitere Kostenlose Bücher