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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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es nun) nahezu verdeckte. Schließlich erkannte ich sie als das, was sie war – ein einzelnes Tau, das den Mast, den die Mutisten abgesprengt hatten, nach wie vor mit dem Schiff verband. Ich fing mich daran ab und sah von dieser Warte aus unser Universum, das Briah heißt, schwinden, bis es sich auflöste wie ein Traum.
     

 
Yesod
     
    Bei aller Logik hätte ich am Tau zum Schiff hinabklettern sollen, was ich freilich nicht tat. Ich hatte es so nahe beim Schiff zu fassen bekommen, daß die Klüversegel mir einigermaßen die Sicht verwehrten, und ich (ob ich mich nun unvernichtbar wähnte oder längst vernichtet, das kann ich nicht sagen) kletterte vielmehr hinauf, bis ich den abgetrennten Mast als solchen erreichte, und dann hinaus auf eine schräge Rah bis zum Ende, wo ich mich festhielt und der Dinge harrte.
    Was ich sah, läßt sich wahrlich nicht in Worte kleiden, was ich dennoch versuchen will. Der blaue Stern war bereits eine Scheibe von reinem Azur. Ich habe gesagt, sie sei nicht so fern wie die Scheinsterne. Allerdings war sie im Gegensatz zu diesen wirklich da; wer wollte also fragen, ob ferner oder näher? Als ich sie betrachtete, gewahrte ich noch deutlicher, daß sie falsch waren, daß sie nicht bloß nicht da waren, wo sie zu sein schienen, sondern daß sie überhaupt nicht existierten, daß sie nicht bloß Phantome waren, sondern – wie die meisten Phantome – Lügen. Die azurne Scheibe weitete sich, bis ich schließlich Streifen von Wolken darauf sah. Nun lachte ich vor mich hin und erkannte beim Lachen mit einem Mal, in welcher Gefahr ich schwebte, daß ich jeden Moment vergehen könne aufgrund meines Tuns. Dennoch blieb ich noch eine Zeitlang, wo ich war.
    Mitten hinein in diese Scheibe tauchten wir, so daß momentan ein ebenholzschwarzer, mit gespenstischen Sternen besetzter Ring unser ganzes Schiff umschloß, das Diadem von Briah.
    Dann waren wir durch und schienen in azurnes Licht getaucht; hinter uns, wo ich vorhin das Corona Lucis der jungen Sonnen gesehen hatte, sah ich nun unser Universum, einen Kreis, kaum größer als ein ebenholzschwarzer Mond von Yesod, ein Mond, der bald zu einem Staubkörnchen schrumpfte und verschwand.
    Wenn du dir, der du dies eines Tages lesen magst, einen Funken Respekt vor mir bewahrt hast trotz der mannigfaltigen Narreteien, die ich dir vorgesetzt habe, so wird dieser nun vollends schwinden, wenn ich dir erzähle, daß ich jetzt Gespenster sah wie ein Kleinkind. Als Jonas und ich zum Haus Absolut ritten, wurden wir angegriffen von Hethors Notulen, herbeigespiegelten Geschöpfen, die fliegen, wie versengte Pergamentfetzen durch den Schornstein stieben, aber trotz ihrer Leichtigkeit töten können. Nun glaubte ich, der ich achtern ausschaute zum verschwindenden Briah, nämliche Kreaturen zu sehen, allerdings in Silber, nicht Fuliginschwarz wie die Notulen.
    Todesangst packte mich, und ich versuchte, mich hinter der Rah zu verbergen. Bald schon merkte ich, was es (was du schon längst gemerkt haben wirst) war: bloße Fetzen von der Spinnwebbespannung des abgebrochenen Masten, die ein peitschender Wind aufwühlte. Das freilich bedeutete, daß es hier eine Atmosphäre gab, eine wenn auch noch so dünne, und kein Vakuum herrschte. Ich blickte zum Schiff und sah, daß es kahl war, daß die weitläufigen Segel eingeholt waren und die zehntausend Masten und hunderttausend Rahen standen wie ein Wald im Winter.
    Ein seltsames Gefühl, als ich dort hing, die eigene verbrauchte Atmosphäre atmete und wußte, aber nichts spürte vom gewaltigen Sturm, der ringsum tobte. Ich zog beide Halsbänder ab und wurde sofort fast von meiner Warte geweht, während das Brausen des Wirbelsturms meine Ohren erfüllte.
    Und ich labte mich an der Luft! Worte vermögen es nicht zu beschreiben. Es war die Luft von Yesod, die eiskalte, lebensdurchtränkte. Noch nie hatte ich solche Luft gekostet, und dennoch schien ich sie zu kennen.
    Ich riß mir das zerschlitzte Hemd vom Rücken und ließ es mit den Segelfetzen davonflattern, und nun erkannte ich sie wahrhaftig. An jenem Abend, als ich von der Alten Zitadelle ins Exil aufbrach, folgte ich der Wasserstraße, wo ich die Argosien und Galeonen den schiffbaren Gyoll durchpflügen sah, und der Wind frischte auf und blähte mir den Zunftmantel und kündete vom Norden; nun blies dieser Wind abermals und kündete lauthals von neuen Jahren und sang alle Weisen einer neuen Welt.
    Aber wo? Unter unserm Schiff sah ich nichts als eine azurne Schale mit

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