Die Vagabundin
lassen, fühlte sie sich wieder sicherer. Auch hier zweifelte keiner ihre Identität als Schneiderknecht an. Im Gegenteil: Wie gewohnt stand sie bald im Mittelpunkt der Gespräche, zumal sie jedem, der eintrat, aufs Neue erklären musste, wer ihr so hart ins Gesicht gefahren war. Das tat sie in der ihr eigenen mitreißenden Art, die Männer wie Weiber voller Mitleid auf ihre Seite schlug.
«Wie ich sehe, fühlst du dich schon ganz daheim.» Junker Moritz war eingetreten und lächelte. «Dann können wir also mit deinen Handwerkskünsten rechnen?»
Sie holte tief Luft.
«Sehr gern, gnädiger Herr. Wo soll ich arbeiten?»
26
In den nächsten Tagen bekam sie Moritz von Ährenfels nicht mehr zu Gesicht, da er den Brückenbau über ein nahegelegenes Flüsschen zu beaufsichtigen hatte, und das war ihr ganz recht so. In aller Ruhe arbeitete sie sich durch den Stoß von Beinkleidern und Hemden, von Kitteln und Wämsern der Dienerschaft.Sollte sie alles zur Zufriedenheit erledigt haben, würde sie sich an die Kleidung der Herrschaften machen dürfen.
Man hatte ihr einen Tisch in der kleinen Werkstatt zugewiesen, den sie, um das Licht der warmen Sommertage zu nutzen, nach draußen unter das Vordach geschafft hatte. Von hier hatte Eva alles im Blick, was sich zwischen Wirtschaftsgebäuden und Hintereingang des Herrenhauses so tat. Sie sah die Wäscherinnen ihre schweren Körbe zum Ufer des Bachs hinausschleppen oder die Spülmagd frisches Wasser vom Brunnen holen, sah mehrmals täglich den Küchenjungen zum Backhaus tänzeln und mindestens ein Mal, wie er dort verstohlen eine der jungen Mägde küsste. Frühmorgens wurden die Schweine herausgelassen und in den Wald getrieben, dann die Reit- und Kutschpferde vor dem Stall angebunden und geputzt, bis ihr Fell in der Sonne glänzte. Gegen Abend kehrten die Knechte und Mägde von der Feldarbeit zurück.
So verliefen ihre Tage höchst abwechslungsreich, und alle naslang gesellte sich jemand zu ihr an den Tisch, um einen Schwatz zu halten. Schon nach kurzer Zeit wusste sie Bescheid um alles Mögliche: etwa dass der alte Roderich von Ährenfels seine Gemahlin mit seiner ewigen Nörgelei und seinen Weibergeschichten ins Grab gebracht hatte und auch jetzt noch ein alter Hurenbock sei, vor dem sich jeder Rock in Acht nehmen müsse. Dass er seine beiden Töchter glänzend verheiratet hatte, die eine ins nahe Ingolstadt, die andere an den Wittelsbacherhof in München. Und dass er auf seinen dritt- und jüngstgeborenen Sohn Moritz überhaupt nicht gut zu sprechen sei – vielleicht, weil der gar zu wenig nach dem Ebenbild des Alten geraten war.
Der Zweig der Adelsfamilie, der hier auf der Hofstatt wohnte, war nicht allzu groß. Außer den beiden Brüdern Moritz und Kilian waren das nur noch Kilians kränkelnde Frau und deren beiden Töchter im Kindesalter, dazu eine unverheiratete,greise Schwester des Hofherrn, die so gut wie nie ihre abgedunkelte Kammer verließ, und einige halbwüchsige Vettern, die den Sommer hier verbrachten. Der erstgeborene Sohn des alten Roderich, Hilprand von Ährenfels, lebte im Übrigen mit Frau und sieben Kindern auf der Stammburg, zwei Tagesritte von hier, und Roderich selbst pendelte zwischen Gut und Stammburg hin und her. Damit glaubte er wohl, seine Hofmark besser im Griff zu haben.
Anfangs wunderte sich Eva, wie wenig herrschaftlich es hier zuging. Genau genommen nicht viel anders als auf den Höfen der reichen Bauern, die Eva von ihren Wanderungen her kannte. Scharen von Hühnern, struppigen Katzen und Ziegen liefen einem vor den Füßen herum, überall stank es nach deren Hinterlassenschaften und von den Abortgruben her, die außen vor den Mauern lagen und viel zu selten geleert wurden. Jeder Schritt über den Hof wirbelte jetzt im Hochsommer Staub auf, im Herbst und Winter dann würde man im Morast versinken, da nur die Auffahrt vom Haupttor zum Portal des Herrenhauses gepflastert war. Überhaupt gaben sich, bis auf das Herrenhaus und die mächtige Ringmauer, die Gebäude äußerst einfach und schmucklos, waren allesamt aus Holz, Lehm und Stroh und würden erfahrungsgemäß beim ersten Herdbrand oder Blitzschlag in Flammen aufgehen.
Einen beträchtlichen Unterschied zum Hof eines reichen Bauern gab es dennoch: die große Anzahl von Bediensteten. Da waren der Leibkoch mit der Spülmagd und dem Küchenknaben, der Stallmeister und der Jagdgehilfe, zwei Wäscherinnen, die Hennenmagd und die Schweinemagd, der Torwächter mit seinen beiden
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