Die Vagabundin
zunächst geglaubt, Spielleute oder Gaukler würden auf dem buntbemalten Maultierkarren Einzug halten. Als dann aber, in Begleitung einer alten Vettel, drei gackernde Mädchen vom Wagen kletterten, allesamt grell geschminkt und in allzu offenherzigen Kleidern, war es Eva wie Schuppen von den Augen gefallen: Eine Kupplerin mit ihren Hübschlerinnen quartierte sich im Herrenhaus ein – eine Kupplerin wie dazumal die widerliche Eusebia Fettmilch. Nur dass die gemeinen Weiber hier den Eindruck machten, als hätten sie auch noch Spaß an ihrem Gewerbe.
Im Schatten des Badhäuschens war Eva in jenem Augenblick gestanden, zusammen mit der Spülmagd, die für den Abend hier ein heißes Bad bereiten sollte. Von dieser Hütte aus blickte man ungehindert auf Zufahrt und Portal des Herrenhauses. Und eben jetzt sah man, wie der Hausherr mit ausgebreiteten Armen und schmatzenden Küssen ein Mädchen nach dem anderen in Empfang nahm.
Eva mochte es kaum glauben, wie unverblümt und schamlos hier der Sünde gefrönt wurde. Kopfschüttelnd fragte sie Franzi, mit der sie sich ein wenig angefreundet hatte, was für gemeine Weiber das seien. Die Spülmagd bestätigte ihren Verdacht völlig ungerührt.
«Der Alte hat immer irgendwelches Hurenvolk da. Das kennt man schon. Was meinst, warum ich heut ein Bad bereite?Und glaub nur nicht, dass der Alte allein in den Zuber steigt.» Franzi grinste, dann zuckte sie die Schultern. «So lässt er unsereins wenigstens in Ruh. Kannst grad froh sein, dass du ein Kerl bist. Der hat’s schon bei jeder von uns versucht.»
In diesem Moment kam Junker Moritz durchs Tor getrabt. Sein Blick fiel auf den grellbunten Karren, und Eva glaubte eine Mischung aus Ärger und Verachtung auf seinem Gesicht zu erkennen. Dann entdeckte er Eva – und wurde im selben Augenblick puterrot.
Evas Herz begann heftig zu pochen.
«Und – Roderichs Söhne und Neffen?», flüsterte sie. «Sind die da auch mit dabei?»
«Weiß nicht. Kann schon sein. Obwohl – der Moritz ist anders, eher schüchtern mit Weibern. Aber grad den Huren gefällt das ja.»
Die Antwort ließ Eva zusammenzucken. Sie besaß ausreichend Phantasie, um sich das Treiben vorzustellen, das nach Einbruch der Dunkelheit dort im Herrenhaus vor sich ging. Aber Moritz von Ährenfels mittendrin? Nein, das passte nicht zu ihm. Schließlich war er es damals gewesen, der sie aus ihrer Gefangenschaft gerettet hatte und mit aller Schärfe gegen Eusebia und Vinzenz Fettmilch vorgegangen war – ein anderer hätte vielleicht sie, Niklas und die drei jungen Mägde ihrem Schicksal überlassen.
Plötzlich hatte Eva wieder im Ohr, was der Junker damals gesagt hatte.
Kenne ich Euch nicht?,
hatte er die beiden Kuppler gefragt.
Bin ich Euch nicht auf der Hofmark meines Vaters begegnet?
Und dann, nachdem Fettmilch abgewiegelt hatte:
Ich bin mir aber sicher. Ich vergesse kein Gesicht.
Die Spülmagd stieß sie in die Seite.
«He, Adam! Statt Maulaffen feilhalten könntst mir auch helfen. Da stehn noch zwei Eimer, die warten auf dich.»
Ledereimer für Ledereimer voll Wasser schleppten sie vom Brunnen in die Badhütte, bis der riesige Holzzuber gut halb voll war. Danach füllten sie noch die beiden Kessel über der Feuerstelle auf.
«Hol mich, wenn das Wasser kocht», sagte Eva. «Ich helf dir dann.»
«Danke, Adam. Weißt, was? Du bist so ganz anders als die Kerle, die ich sonst kenne.»
Franzi ließ ihre Eimer fallen und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Ganz deutlich spürte Eva die warmen Lippen des Mädchens auf ihren. Erschrocken drehte sie das Gesicht zur Seite.
«Schon recht!»
Jemand räusperte sich. «Verzeiht, wenn ich euch bei eurem Stelldichein störe!»
Eva fuhr herum. Herr im Himmel – vor ihr stand mit reichlich schiefem Lächeln Junker Moritz. Höchstwahrscheinlich glaubte er jetzt, sie habe eine Liebschaft mit Franzi!
«Es ist nicht, wie Ihr denkt», stotterte Eva. «Ich hatte Franzi nur beim Wasserschleppen geholfen und wollte eben an meinen Schneidertisch zurück.»
«Dann werd ich dich begleiten.»
Eva hatte Mühe, mit dem Junker Schritt zu halten. Ihre Wangen brannten vor Verlegenheit.
«Wie alt bist du eigentlich?», fragte Moritz von Ährenfels.
«Fünfzehn.»
Sie wusste, dass sie als Knabe verkleidet um einiges jünger wirkte, aber fünfzehn Jahre schien ihr für einen jungen Schneiderknecht passend. Wie alt sie in Wirklichkeit war, hätte sie inzwischen ohnehin nicht mehr auf Anhieb sagen können.
«Also reichlich jung.»
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