Die Vagabundin
und schien auch ihren Kopf wieder klarer zu machen. Zu ihrem Entsetzen bemerkte sie jetzt, dass eine Fessel ihre Fußgelenke zusammenhielt und sie sich nur in winzigen Schritten fortbewegen konnte. Was hatten die beiden mit ihr vor? Womit wollten sie zuwarten? Und wo blieb Moritz? Er war der Einzige, der sie hier herausholen konnte.
«Bitte, hört mich an», begann sie mit dünner Stimme. «Ich wollte niemanden betrügen. Nur mein Brot wollte ich mir verdienen, als Schneiderknecht. Und Ihr wart doch auch zufrieden mit der Arbeit, oder nicht? Ich bitt Euch, edler Herr – lasst Gnade walten und gebt mich frei.»
«Von mir aus hättest dich als lutherischer Prädikant verkleiden können, das schert mich einen Dreck. Aber ich muss zugeben, dein Possenspiel war nicht schlecht. Hoffentlich spielst du deine nächste Rolle ebenso gut.» Der Alte gluckste leise, dann wurde sein Lachen immer lauter. «Du hast also keinen Schimmer, warum wir hier sind?»
Sie richtete sich auf. «Nein.»
Dabei ahnte sie längst, dass es nicht gut um sie stand. Ihre heimliche Liebe war entlarvt – man hatte sie hier im Jagdhaus also tatsächlich beobachtet. Deshalb hatte sich der Hund auch nicht sonderlich aus der Ruhe bringen lassen: weil er Roderich von Ährenfels und seinen Hofmeister gut kannte! Nur: warum die Fußfesseln? Warum jagte man sie nicht einfach davon?
«Gut, mein Schätzelchen, dann sperr deine hübschen Ohren auf.»
Der Edelmann zog Eva vom Boden hoch und schob sie zwischen sich und Hartmann von Zabern auf die Bank.
«Wir freuen uns nämlich ungemein, dass sich unser Schneiderknecht aus heiterem Himmel in eine Jungfer verwandelt hat. Noch dazu in solch eine bildhübsche!» Mit seinen spitzen Fingern hob Roderich von Ährenfels ihr Kinn und sah ihr tief in die Augen. Sein Blick war wässrig und lauernd zugleich. «Du bist doch hoffentlich noch Jungfrau? Oder hat dieser Bengel von Moritz etwa ernsthaft zugestochen?»
Diese Worte fuhren ihr wie ein Dolchstoß ins Herz. «Was soll das? Was wisst Ihr von Moritz und mir? Ich will sofort zu ihm.»
«Er aber nicht zu dir, mein Kind.» Wieder kicherte der Alte. «Er ist längst auf dem Weg zu seiner Verlobten, einer Wittelsbacher Prinzessin.»
«Ihr lügt! Er hat gar keine Verlobte. Ich bin seine Braut!»
Damit war es heraus. Doch der Edelmann schien von dieser Nachricht nicht sonderlich beeindruckt.
«Was weißt du schon von meinem jüngsten Sohn? Hast ihm wohl all das Gesülze von Liebe und Heirat abgenommen und geglaubt, er würd so ein armseliges Ding wie dich zur Frau nehmen wollen?» Er zwinkerte seinem Hofmeister zu. «Das hat er wieder sehr gut gemacht, unser Moritz. Er wird immer besser beim Anbeißen leichtgläubiger Jungfern.»
«O ja, in der Tat! Bleibt nur zu hoffen, dass er rechtzeitig vor der Scheuer abgeladen und keine Frucht eingefahren hat! Einen Bastard wär das Letzte, was wir brauchen könnten.»
Eva konnte nicht glauben, was sie da mit anhören musste. Sie wollte etwas erwidern, aber ihr blieben die Worte im Hals stecken.
«Und jetzt, liebes Kind, kommen wir mal zur Sache: Dein Moritz ist nicht der, für den du ihn hältst. Er ist verdorben bis ins Mark, hat einen Heidenspaß daran, uns junge Mädchen zuzuführen. Du bist fürwahr nicht die Erste, die er mit seinem Zauber eingewickelt und ein bisserl gefügig gemacht hat für weitere große Taten. Du hast nun die Wahl: Entweder kommst du mit uns nach Burg Ährenfels, wo schon ein hübsches Turmzimmerchen für dich bereitsteht, oder wir verkaufen dich an ein Kupplerpaar, das dich weit weg außer Landes bringt. Ich schätze, dort wird es dir nicht so gut ergehen wie bei uns.»
Roderichs Hand glitt über den Stoff ihres Kleides zu ihren Brüsten hin. «Moritz hatte übrigens recht mit der Farbe des Kleides. Ich wollte ja, dass er dir das blaue Kleid schenkt, aber dieses Dunkelrot steht dir wahrhaftig besser.»
Hass und Wut stiegen in ihr auf. «Nehmt Eure Pfoten da weg!», schrie sie. «Was Ihr da redet, ist alles erstunken und erlogen. Niemals würde Moritz so etwas tun. Bringt ihn doch her, damit er’s mir selber sagt.»
Jetzt zitterte sie am ganzen Körper.
«Sie will’s nicht wahrhaben.» Roderich von Ährenfels schüttelte mit einem bekümmerten Lächeln den Kopf. «Sie will’s einfach nicht wahrhaben.»
Im nächsten Augenblick griff er mit der Linken in ihr Haar und drehte es so fest über der Kopfhaut zusammen, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
«Sieh selbst!» Er zog sie an
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