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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Jagdschloss geführt, in dem sie fortan wohnen sollten. Alles dort war aus Gold: der geflieste Fußboden, die Deckenbalken, die Wandteppiche, das Mobiliar, die Säulchen und Gesimse der Rundbogenfenster, der mächtige Kachelofen am Eingang des Saales, selbst die Jagdtrophäen überall an den Wänden – alles glänzte und strahlte in reinem Gold. Und sie stand mittendrin, Hand in Hand mit Moritz; ein goldener Lautenspieler schwebte herein und spielte ihnen lautlos zum Tanz auf, goldene Tauben und Pfauen segelten über ihren Köpfen, goldene Äffchen tanzten zu ihren Füßen, als mit einem Mal alles um sie herum zu zerfließen begann und dabei einen Geruch fast beißender Süße verströmte. Da erkannte sie: Alles war zu Honig geworden und verging zu einem klebrigen Brei, und sie selbst steckte mittendrin, gefangen, festgeklebt, unfähig, sich von der Stelle zu rühren, während Moritz, umschlungen von schweren Eisenketten, von ihr fortgezogen und von schwarzen Schlachtrössern durch das offene Portal in eine pechschwarze Nacht hinausgeschleift wurde, unter dem bellenden Hohngelächter seines Vaters   …
    Es war das Bellen und Jaulen des Hundes, das sie aus diesem grauenhaften Alb riss. Von draußen drang helles Tageslicht durch die Ritzen. Das arme Tier kratzte an der Türschwelle, wollte nichts wie raus. Wahrscheinlich zerriss es ihm schon fast die Blase.
    «Ich komm ja schon», beruhigte sie ihn, schlüpfte in ihr Kleid und schob den Tisch vom Türrahmen weg. Kaum hatte sie die Tür einen Spaltbreit geöffnet, drängte das Tier nach draußen und durchquerte den Hof in eiligem Zickzack, die Nase immer dicht am Boden, als folge es einer Fährte. Kopfschüttelnd blickte Eva ihm nach. Wahrscheinlich suchte Wladimir sich ein Plätzchen, wo er in Ruhe seinem Geschäft nachgehen konnte.
    Sie stand in der offenen Tür, bis ihr fröstelte. Obwohl der Wind nachgelassen hatte, zog eine kühle Feuchtigkeit durch die Luft. Ganz eindeutig wurde es nun Herbst. Sie schloss die Augen. Wo würden sie und Moritz wohl den Winter verbringen?
    «Träumerin», schimpfte sie leise mit sich selbst und beschloss, sich etwas zu essen zu bereiten. Seitdem Moritz fort war, hatte sie nichts mehr zu sich genommen. Schon machte ihr Herz einen kleinen Sprung, als sie daran dachte, dass sie sich heute wiedersehen würden.
    Zwei Stunden später war Wladimir noch immer nicht zurück. Eva stand auf der Schwelle nach draußen, rief laut seinen Namen, versuchte, Moritz’ Pfiff nachzuahmen – doch nichts rührte sich. Verunsichert trat sie einige Schritte auf den Hof hinaus, dann stutzte sie: Am anderen Ende, vor dem Gatter zum Waldweg hin, lag ein dunkler Haufen. Als sie näher kam, wurde ihr schrecklicher Verdacht zur Gewissheit: Seltsam verrenkt, mit verdrehten Augen und gelblichem Schaum vor den Lefzen, lag Wladimir mitten auf dem Weg und gab keinen Laut mehr von sich. Er musste vergiftet worden sein!
    «O Gott! Wladimir!»
    Sie beugte sich über den Kadaver, wunderte sich im selben Augenblick, dass das nahe Hoftor offen stand, als auch schon etwas von hinten gegen ihren Schädel krachte und sie das Bewusstsein verlor.
     
    Als sie wieder zu sich kam, spürte sie das vertraute weiche Schaffell unter ihrer Wange, hörte das Knistern des Kamins, roch den Geruch von harzigem, feuchtem Brennholz. Alles war in bester Ordnung, sie musste geträumt haben. Sie hob den schmerzenden Kopf, da sie jemanden flüstern hörte.
    «Moritz? Bist du zurück?»
    Sie wandte den Blick zur Seite. Es dauerte seine Zeit, bis sich ihr Auge schärfte und zwei Gestalten auf der Fensterbank zu erkennen gab: Die eine, klein und untersetzt, war in grellbunte Stoffe gekleidet, die andere, massig und schwer, klebte wie ein riesiger grauer Mehlsack auf der Bank.
    «Sie kommt zu sich», japste der Mehlsack.
    «Das seh ich selbst.» Das Gesicht des anderen beugte sich zu ihr herunter, die Furchen und Falten wurden deutlicher, dazu die Zahnstummeln im grinsenden Mund – da endlich wusste Eva, wem das ledrige Greisengesicht gehörte: Roderich von Ährenfels! Und neben ihm saß niemand anders als sein Hofmeister Hartmann von Zabern.
    Mit einem kraftlosen Stöhnen ließ sie den Kopf wieder sinken.
    «Hast du gut gemacht, Hofmeister», hörte sie den Edelmann sagen. «Ein bisserl fest zugeschlagen vielleicht.»
    «Ach was, das Weibsstück ist zäh. Sollen wir noch einen Augenblick zuwarten?»
    «Ja. Gib ihr erst mal was zu trinken.»
    Das kühle Wasser tat ihrer ausgedörrten Kehle gut

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