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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hat der junge Herr mir gesagt.»
    «Tu das weg, hab ich gesagt.» Jetzt brüllte Eva voller Wut und schlug dem Knecht das Papier aus der Hand. «Verflucht sei dein junger Herr! In der Hölle soll er schmoren für das, was er mir angetan hat!»
    Bartlome sah sie nur aus runden Augen an, dann zuckte er die Schultern und klaubte den Zettel zwischen den Strohhalmen heraus.
    «Schlaf jetzt. Wir haben morgen noch ein gutes Stück zu reiten.»
     
    Eva hätte nicht sagen können, ob sie wahrhaftig geschlafen hatte, als sich etwas an ihren Fußfesseln zu schaffen machte. Ratten!, war ihr erster Gedanke, und sie zog mit einem Ruck ihre Füße heran. Da erkannte sie in der Dunkelheit die Umrisse eines Mannes vor sich.
    «Bartlome?»
    Die Gestalt richtete sich auf. Zu Evas Erleichterung war es wirklich der Mauerknecht.
    «Es geht», flüsterte der. «Es geht tatsächlich. Dass ich nicht früher draufgekommen bin.»
    «Was meinst du?»
    «Ich hab die ganze Zeit drüber nachgedacht, wie ich deine Fesseln aufkriege, so ohne Messer. Da hab ich deine Schneiderschere aus dem Werkzeugsack genommen. Jetzt halt still, der Strick ist gleich durch.»
    Kurz darauf waren auch Evas Hände befreit. Ihre Augen füllten sich mit Tränen der Dankbarkeit. Wie grundfalsch hatte sie doch den Knecht eingeschätzt.
    «Hör zu, Eva: Am besten verschwindest du in Richtung Süden, immer weiter, bis du auf Regensburger Gebiet kommst.Ich glaub nicht, dass der Ährenfelser so weit weg nach dir suchen lässt.»
    «Aber es ist stockdunkel draußen.»
    «Es wird schon gehen. Außerdem sieht dich dann ja auch keiner. Erinnerst du dich an die große Schleifmühle, eine halbe Wegstunde von hier?»
    «Ja.»
    «Der Fluss heißt Schwarze Laber. Eine Holzbrücke führt darüber, danach nimm den Pfad bis zu der großen Handelsstraße von Nürnberg nach Regensburg. Der folgst du einfach flussabwärts. Du kannst den Weg gar nicht verfehlen.»
    Er reichte ihr den Beutel. «Vergiss dein Werkzeug nicht.»
    «Aber – was wird der Alte mit dir machen? Bestimmt wird er dich auspeitschen!»
    «So schlimm wird’s schon nicht. Ich sag ihm einfach, du hättst mich in der Nacht niedergeschlagen, mit deinen zusammengebundenen Fäusten. Stark genug bist ja.» Er grinste. «Vielleicht schnapp ich mir eins der Maultiere und mach mich aus dem Staub. Ich wollt mir eh einen neuen Dienstherrn suchen.»
    Eva umarmte ihn.
    «Ich danke dir!»
    «Jetzt lauf los. Und viel Glück!»
    Der Halbmond spähte hin und wieder zwischen den Wolken hindurch und gab ihr ausreichend Licht, um Mühle und Holzsteg zu finden. Als bald darauf die Nürnberger Handelsstraße, die sich hier auf halber Höhe an die Berge schmiegte, vor ihr auftauchte, menschenleer und gottverlassen, suchte sie Schutz hinter dichtem Buschwerk und überdachte ihre Lage.
    Nun war sie wieder Frau, trug ein hübsches, ja kostbares Kleid auf dem Leib, viel zu dünn allerdings für den einbrechenden Herbst, dazu zierliche Lederschuhe, die einem nach kurzemFußmarsch schon Blasen bescherten. Ihr war klar: In diesem Aufzug würde sie keinen Tag unbehelligt über die Landstraße ziehen können. Wenigstens hatte sie immer noch ihr Werkzeug, ihren kostbarsten Besitz. Um damit ihr Brot verdienen zu können, brauchte sie aber schleunigst wieder Männerkleidung, und sie besaß keinen einzigen Heller mehr. Beides, ihre alten Kleider wie das Geld, das ihr der Kämmerer zum Lohn ausbezahlt hatte, lagen gut verwahrt in einer der Truhen im Jagdhaus, zusammen mit dem schönen Jagdmesser von Moritz, das ihr so viele gute Dienste geleistet hatte. Es war alles so sinnlos!
    Sie kauerte sich zusammen und kämpfte gegen die feuchte Kälte kurz vor Morgengrauen an. Noch war keine Menschenseele zu sehen, weder in Richtung Regensburg noch nach Nürnberg hin. Nichts wie weg wollte sie aus dieser vermaledeiten Gegend, in der sie nun schon seit Jahren kreuz und quer herumirrte wie ein Brummkreisel. Möglichst weit weg, nach Süden oder nach Westen, ganz gleich, wohin. Denn wer kein Zuhause hatte, konnte überall hingehen.
    Diesen letzten Satz murmelte Eva immer wieder und tastete nach dem Amulett an ihrem Hals. «Keine Angst, Igelchen», sagte sie plötzlich laut in die Stille hinein. «Ich geb nicht auf.»
    Sie lehnte den Kopf gegen ihren Ledersack und wartete auf den ersten wärmenden Sonnenstrahl.

32
    Das fahle Grün der Laubbäume, das hier und da bereits in Gelb und Gold überging, verriet den nahen Herbst. Die Felder im Flusstal waren zwar längst

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