Die Vagabundin
den Haaren zu sich herüber, in der rechten Hand hielt er ein Blatt Papier. «Oh, ich vergaß – du bist ja nur eine Frau. Also, hör zu!»
«Nein! Ich kann selber lesen! Wenn Ihr nur meine Haare loslasst.»
Der Alte lockerte seinen Griff, und ihr Blick fiel zuerst auf die schwungvolle Unterschrift.
Moritz
stand dort in großen, glänzend schwarzen Buchstaben. Es war dieselbe Unterschrift wie die auf dem Lageplan. Dann begann sie zu lesen:
Werter Vater und allerliebster Herr!
Da ich Euch nicht in persona vorgefunden habe, hier nun in aller Eile die Lage der Dinge: Diese Eva scheint mir ganz die Richtige für Eure Belange, sie stellt sich in Liebesdingen wahrlich nicht ungeschickt an. Den letzten Schliff aber vermögt Ihr selbst ihr am besten zu geben, da bin ich mir sicher, und ich wünsche Euch dabei großes Vergnügen!
So holt sie denn baldmöglichst aus dem Jagdhaus, bevor sie womöglich Verdacht schöpft.
Mit ergebenem Gruße, Euer Sohn
Moritz
Eva schlug die Hände vors Gesicht, und das Papier segelte zu Boden wie welkes Herbstlaub. Das hier war schlimmer noch als der schlimmste Nachtmahr!
«Ich denke, sie ist so weit», hörte sie Roderich sagen. «Gehen wir.»
31
Als die beiden Männer sie aus dem Haus führen wollten, ballte sich in Eva eine letzte, außerordentliche Kraft zusammen und entlud sich in Faustschlägen, die erst den Alten, dann den Dickwanst gegen die Wand schleuderten. Gleich einer Tollhäuslerin schlug sie um sich, trotz ihrer Fußfesseln, bis sie schließlich selbst ins Straucheln geriet. Kaum war sie zu Boden gegangen, stürzten sich die Männer auf sie. Ein letztes Mal versuchte sie sich zu wehren, wand sich und zappelte, spürte dann, wie sich kräftige Hände um ihren Hals legten und drückten, bis sie würgte und spuckte und kaum noch Luft bekam. Da gab sie auf.
«Na also! Wurde aber auch Zeit.»
Roderich stülpte ihr einen schweren Sack über den Kopf, der beißend nach Hühnerschiss stank, und zog ihn unten am Saum zu. Danach löste er die Fußfesseln, die er ihr stattdessen um die Handgelenke schlang, und schleifte sie hinter sich her nach draußen.
«Sind die Tiere bereit?», hörte Eva ihn fragen.
«Ja, Herr.»
Das war die Stimme von Bartlome, einem der beiden Mauerwärter des Landguts. Mit ihm hatte Eva zwei, drei Male nach Feierabend gewürfelt. Ein winziger Funken Hoffnung keimte in ihr auf. Der Mann war zwar nicht gerade der Hellste, aberer war ehrlich und ein ergebener Bewunderer von Moritz von Ährenfels.
«Was machen wir mit ihrem Kram?», fragte Hartmann von Zabern.
«Den nehmen wir mit. Das Werkzeug wird Hilprands Schneidergesell gut brauchen können. He, Bartlome, glotz nicht so dämlich! Beeil dich, binde den Beutel der Metze hinter den Sattel, wir sind spät dran.»
Grob wurde Eva auf das Reittier bugsiert. Ihre Füße tasteten nach den Steigbügeln, die Finger umkrampften den Sattelknauf, als das Tier sich in Bewegung setzte. Sie hatte keine Erfahrung in den Reitkünsten, und umso unheimlicher war ihr das Geschaukel, zumal sie mit ihrer Vermummung rein gar nichts erkennen konnte. Schwindelgefühle packten sie; oben und unten, rechts und links flossen ineinander, und sie glaubte, sich übergeben zu müssen.
«Haltet an», rief sie. «Mir ist übel.»
«Dann kotz halt!», war Roderichs knappe Antwort.
Tränen stiegen ihr in die Augen. «Lieber Gott im Himmel, Jesus und Maria», begann sie leise zu beten, «bleibt bei mir! Zeigt mir einen Ausweg! Lasst mich nicht bei diesen Ungeheuern! Lasst mich nicht zur Hure werden!»
Sie gab sich jetzt keinerlei Mühe mehr, die Tränen zurückzuhalten. Es sah sie ja niemand hinter dem groben, stinkenden Sackleinen ihrer Kapuze, die ihr in diesem Moment fast zum Schutz und Trost wurde. In lautlosen Schluchzern begann sie zu weinen – nicht etwa über ihre aussichtslose Lage, sondern über den Verrat, über die unfassbare Hinterlist jenes Mannes, den sie zu lieben geglaubt hatte.
Eva schrak aus ihrem Dämmerzustand. Fast wäre sie vornüber aus dem Sattel gekippt, als ihr Reittier ganz plötzlich zum Stehenkam. Sie hörte vor sich Stimmen, die sich fröhliche Grußworte zuwarfen, dann die Frage: «Was führt Ihr denn da für ein Nachtgespenst mit Euch, Roderich von Ährenfels?»
«Eine Betrügerin», gab Roderich zur Antwort. «Eine Diebin und Betrügerin. Ich will oben auf der Burg Gericht über sie halten.»
«Recht so! Haltet nur all das Gesindel fern von unsrer schönen Hofmark. Grüß Euch Gott
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