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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Josefina weinte. Irgendwann schnäuzte sich ihre Schwester und begann zu berichten, mit leiser, immer wieder stockender Stimme. Erzählte, wie es angefangen hatte mit den Sauereien des Stiefvaters, damals, auf ihrer Reise hierher, am nächtlichen Lagerfeuer, wenn alles schlief. Überall hatten seine widerlichen Hände sie begrabscht, vor allem aber unter dem Rock, und sie hatte ihr Schicksal verflucht, dass sie kein Junge war, der Hosen trug. Allein die Angst, die Geschwister würden aufwachen und das Unerhörte mit ansehen, hatte sie alles still ertragen lassen.
    In Passau dann, nachdem ihr ältester Bruder außer Haus gegangen war, hatte er es nicht mehr beim heimlichen Betatschen belassen. Da hatte er sie einmal, als Eva und Niklas schliefen und sie selbst mit der Hausarbeit fertig war, in seine Bettstatt gezwungen und sich ihr in seiner ganzen widerwärtigen Nacktheit gezeigt. Auf die ekelhafteste Art und Weise hatte sie dann seine Lüsternheit befriedigen müssen – allein die Jungfernschaft hatte sie sich bewahren dürfen.
    «Jetzt weißt du, warum ich fort bin von daheim.»
    «Aber was soll ich jetzt tun?»
    «Du musst auch weg von ihm. Er wird’s wieder versuchen. Es ist der Teufel, der in ihm steckt.»
    Eva schüttelte den Kopf. «Ich kann Niklas nicht alleinlassen.»
    «Dann musst du ihm drohen.»
    «Drohen?»
    «Sag ihm, du würdest alles dem Fürstbischof erzählen.»
    «Das glaubt er doch nie und nimmer.» Eva begann wieder zu weinen.
    «Dann sag ihm, dass ich alles weiß. Und dass ich es brühwarm den Lindhorns erzählen würd, die gut Freund sind mit dem Bischof. Und das ist nicht mal gelogen. Glaub mir, Eva, dann wird es dieser Hundsfott kein zweites Mal bei dir versuchen.»

4
    Das neue Jahr brach an, und alles nahm seinen gewohnten Gang – ohne Abwechslung, aber auch ohne böse Überraschungen. Eva mühte sich von früh bis spät, ihr Pensum an Wollgarn zu spinnen und gemeinsam mit Niklas dafür zu sorgen, dass etwas zu essen auf den Tisch kam und die Stube einigermaßen ordentlich aussah. An den Sonn- und Feiertagen ging es dann in die Kirche, mit dem üblichen Spaziergang danach, und abends fiel sie erschöpft in einen unruhigen Schlaf, aus dem fast jede Nacht irgendwelche Fratzen und Schreckensbilder sie herausrissen. Anfangs, in den ersten Wochen nach ihrer Krankheit, war es vorgekommen, dass sie ihr Laken nass pinkelte und sie es mitten in der Nacht, in aller Heimlichkeit, abziehen und sich auf irgendwelche Lumpen betten musste. Da lag sie dann oft stundenlang wach, beschämt, wütend und verzweifelt zugleich, und war ihrer Angst, die in der Dunkelheit immer am ärgsten war, ausgeliefert.
    Dabei hatte sich Gallus Barbierer ihr nie wieder genähert. Seltener denn je hielt er sich zu Hause auf, sie sahen einandereigentlich nur noch während der Mahlzeiten, wobei Eva seinen Blicken auswich, so sehr ekelte ihr vor ihm. Und auf dem Weg zur Messe ließ sie ihn jedes Mal vorausgehen, um sich im Kirchenschiff weitab von ihm einen Platz zu suchen.
    Zu ihrer großen Erleichterung war auch der Nachtwächter nie wieder bei ihnen aufgetaucht. Ihr Verlöbnis galt zwar nach wie vor, und wenn sie Bomeranz sonntags vor Sankt Gertraud begegnete, schien er sie mit seinem triefenden Blick zu verschlingen – aber dabei blieb es. Trotzdem wurde Eva diese innere Unruhe niemals los, ihr war, als ob etwas in ihr unablässig zerrte und zog, und an manchen Tagen schlug ihr Herz bis zum Hals, ohne ersichtlichen Grund. Sie fühlte sich wie eine Gefangene, festgekettet in einem Kerker auf Lebenszeit.
    Am Sonntag auf Quasimodo, dem ersten warmen Tag des Jahres, erschien ein Trupp Gaukler vor der Stadt. Sie schlugen ihr Lager am Ufer des Inns auf, um an den Nachmittagen ihre Künste in den Gassen der Stadt zu präsentieren. Von den Bürgern als umherschweifendes Gesindel geschmäht, wurden in Windeseile die Wachen an Toren und Mauern verstärkt, dennoch strömten Alt und Jung in Scharen herbei, um die Possenreißer, Akrobaten und Musikanten zu bestaunen. Selbst die Stadtväter waren so begeistert, dass sie den Spielleuten anlässlich des anstehenden Jahrmarkts für ein dreitägiges Gastspiel drüben in der alten Stadt, auf dem Residenzplatz, Lizenz gewährten.
    Auch Eva war wie gebannt, aber weniger von den beiden Hauptattraktionen, einem zottigen Tanzbären und einem Riesen, der Steine zerkaute wie andere Leute Honigkuchen – zumal sie nicht einen einzigen Pfennig übrig hatte, den sie für die Darbietungen hätte

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