Die Vagabundin
fragte sie: «Geht es dir gut bei den Lindhorns?»
Josefina lachte. «Du siehst ja: so gut, dass sie mir Geschenke für euch mitgeben. Nicht dass du denkst, ich hätt das Zuckerbrot geklaut.»
«Hör mal, Josefina. Stimmt das mit dem jungen Konrad und dir?»
Augenblicklich stieg ihrer Schwester eine flammende Röte in das hübsche Gesicht, und Eva wusste, dass Niklas recht hatte.
«Wer sagt so was?», fragte Josefina.
«Ist doch gleich. Dann stimmt es also.»
«Du verstehst das nicht.» Josefinas Stimme klang plötzlich gereizt. «Konrad ist anders. Er meint es ernst.»
Eva biss sich auf die Lippen. Das war ja noch ärger, als sie befürchtet hatte.
«Stell dir vor», fuhr Josefina fort, «er will nach Wien, zu seinem Oheim. Irgendwann im nächsten Jahr, und dann nimmt er mich mit.»
«Nach Wien?» Fassungslos blieb Eva stehen.
«Jetzt glotz nicht wie ein Schaf! Wenn wir erst geheiratet haben, hol ich dich und Niklas nach.»
«Und das glaubst du ihm alles?»
«Konrad liebt mich wirklich! Er ist der wunderbarste Mann der Welt.»
«Josefina! Du bist nichts als eine armselige Magd! Und er ist der Sohn eines reichen Kaufmanns, eines Ratsherrn obendrein.»
Wieder lachte Josefina – ein wenig zu laut, wie Eva fand. «Ich wär nicht die Erste, die ein feiner Herr geheiratet hätt. Und jetzt freu dich lieber mit mir. Oder bist du etwa neidisch?»
Es war alles andere als Neid, was Eva in jenem Augenblick empfunden hatte. Vielmehr machte sie sich seither ernstliche Sorgen um ihre Schwester, mehr noch als um Niklas und sich selbst.
Als sich dann im Juni dieser Konrad Lindhorn tatsächlich nach Wien davonmachte, allein, nur in Begleitung eines Knechts, ahnte Eva, dass das Verhängnis bereits seinen Lauf nahm. Eines Morgens kam Josefina, mitten in der Woche, bei ihnen in der Löwengrube hereingeschneit, die Augen rot und verheult.
«Er ist einfach weg, von einem Tag auf den andern», schluchzte Josefina, nachdem sie Niklas auf die Straße geschickt hatten. «Und Madlena, die Wäscherin, hat mir zugesteckt, dass er in Wien der Tochter eines steinreichen Gewürzhändlers versprochen ist.»
«Das hättst dir doch denken können! Der Kerl ist nicht wert, dass du um ihn weinst», versuchte Eva zu trösten. «Ein Hallodri ist der, ein elender Lügenbeutel! Sei froh, dass du ihn jetzt los bist und nicht erst, wenn alles zu spät ist.»
Da brach Josefina zusammen. Ihr Oberkörper sank auf die Tischplatte, von Schluchzern geschüttelt, ihren Kopf hielt sie unter den Armen vergraben. In Eva keimte ein entsetzlicher Verdacht.
«Hast du – hast du bei ihm gelegen?» Eva gelang es kaum, das Furchtbare auszusprechen.
Statt einer Antwort heulte Josefina nur noch lauter.
«Herr im Himmel!» Eva zog ihre Schwester fest an sich, als könne sie sie damit vor dem drohenden Unheil beschützen.
«Dabei hat Konrad mir die Ehe versprochen! Bei Gott und allen Heiligen!» Josefinas Stimme wurde zu einem Flüstern. «Sonst hätt ich mich doch nie drauf eingelassen! Und jetzt bleibt meine Monatsblutung aus. Seit vielen Wochen schon.»
«Du musst zu einer weisen Frau, zu einer Hebamme», stotterte Eva. Dabei kannte sie sich in solchen Dingen selbst nicht aus. «Solche Frauen können einem manchmal weiterhelfen, hab ich gehört. Sie können eine Schwangerschaft ungeschehen machen. O Gott, Josefina – niemand darf wissen, was geschehen ist. Im schlimmsten Fall musst du aus der Stadt und irgendwo heimlich niederkommen. Das Kleine kann ja ins Findelhaus, irgendeine Möglichkeit wird’s schon geben.»
«Wenn das Kind kommt, bring ich es um! Und mich selbst gleich dazu!»
Erschrocken ließ Eva ihre Schwester los. «Das ist eine Todsünde! Versprich mir, dass du an so was nicht mal mehr denkst. Und jetzt geh rasch nach Haus zu deiner Herrschaft, damit sie nichts merken. Vielleicht wird alles gar nicht so schlimm.»
Dabei war es längst zu spät. Madlena hatte ihrer Herrin brühwarm gepetzt, dass der junge Konrad und die Barbiererin in Unehren beieinandergelegen hätten, bald jede Nacht. Und jetzt bekomme die Magd ihre weibliche Gerechtigkeit nicht mehr. Darum sei der junge Herr auch so überstürzt nach Wien gereist.
Am selben Tag noch musste Josefina ihr Bündel packen und das vornehme Haus am Residenzplatz für immer verlassen. Miteingezogenen Schultern, das Gesicht aschfahl, die Augen glanzlos – so stand Josefina vor ihren Geschwistern im Türrahmen und hatte gar nichts mehr von der stolzen, selbstbewussten Schönheit,
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