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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Obdach und ein Almosen bitten würden, ahnte, wie bedeutsam Amberg sein musste. Als dann hinter den Wolken von aufgewirbeltem Staub, der in der Abendsonne goldgelb leuchtete, die Türme und Mauern auftauchten, staunte sie nicht schlecht: Wie eine gigantische Festung lag die Stadt vor ihnen, schützte sich mit Wassergraben und einer Doppelreihe aus Wehr- und Zwingermauern, mit befestigten Toren und unzähligen Türmen, die sich alle paar Steinwürfe über dem Mauerring erhoben. Und mitten hinein floss die Vils, durch ein mächtiges Brückenbauwerk, das den Fluss in drei Bögen überspannte.
    Niklas drückte sich dicht an seine Schwester, als sie sich in die Schlange vor dem äußeren Stadttor einreihten und geduldig warteten, bis sie an der Reihe waren.
    «Woher und wohin?», fragte einer der beiden Torwächter knapp und musterte sie geringschätzig.
    «Wir sind auf dem Weg zu unsren Verwandten und suchen ein Unterkommen für eine Nacht.»
    «Bettler also – dacht ich’s doch. Wo habt ihr euer Blech?»
    Eva sah ihn verständnislos an. «Welches Blech?»
    «Seids ihr blöd oder was? Das Heiligsblechl natürlich, das Zeichen der Hausarmen. Ich seh schon, ihr habt keins. Los, machts euch fort, bevor ich euch meine Helmbarte durchs Fell zieh.»
    «Aber wir wollten doch nur   …»
    «Hast du Gülle im Ohr? Verschwindet! Ohne Zeichen und Bettelstab lassen wir keinen rein. Nicht mal auf eine Nacht.»
    Grob schob er Eva mit dem Schaft seiner Hellebarde zur Seite und winkte den Nächsten heran. Die Sache schien für ihn erledigt.
    Eva stand da wie Lots Weib. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass man ihnen den Einlass in die Stadt verwehren würde. Irgendwann zupfte sie jemand am Rock.
    «Komm mit.»
    Der Bursche vor ihr, kleiner und jünger als sie selbst, nickte ihr auffordernd zu. Alles an ihm war dreckig: die nackten Füße, der halblange, zerrissene Bauernkittel über den dürren Beinen, das sommersprossige Gesicht, vor allem die ungekämmten hellroten Haare, die ihm bis weit über die Schultern reichten. Aber seine Augen blitzten klar und frech in die Welt.
    «Ich bin der Pfeifergeck», fuhr der Junge fort und blinzelte Niklas verschwörerisch zu. «Ich zeig euch, wo ihr schlafen könnt.»
    Eva hatte von Anfang an kein gutes Gefühl, als sie dem Burschen folgten, aber irgendwo mussten sie ja nächtigen. Er führte sie weg von der Menschenmenge, geradewegs in eine Gassezwischen schäbigen Schuppen und verwilderten Gärten. Kurz darauf gelangten sie wieder an die Stadtmauer. Hier allerdings bot sich ein ganz anderes Bild als eben vor dem Tor: Entlang der Mauer, an der allerlei Gerümpel lehnte, flackerten kleine Feuer in der einbrechenden Dämmerung, drumherum kauerte ein gutes Dutzend verwahrloster Gestalten, Männer wie Frauen, Alte wie Kinder, die mit Zechen und Würfeln beschäftigt waren. Irgendwer spielte auf einer Flöte, Hunde kläfften um die Wette. Beim Näherkommen erkannte Eva zu ihrem Schrecken, dass sich hier offenbar der Bodensatz der Menschheit gefunden hatte. Einigen ragte ein Beinstumpf aus den Lumpen, andere hatten nur einen Arm oder hässliche, blatternarbige Haut, abgefressene Haarschöpfe oder dunkle Klumpen statt Händen. Keiner beachtete die Neuankömmlinge.
    Es fiel Eva schwer, gegen den Ekel anzukämpfen, der in ihr aufstieg. Wie gern hätte sie Niklas die Gesellschaft dieses Gesindels erspart, doch jetzt gab es kein Zurück mehr.
    «Hab keine Angst», flüsterte sie ihm ins Ohr.
    «Hab ich doch gar nicht.»
    Niklas schüttelte ihre Hand ab und gesellte sich zu ihrem Begleiter.
    «Da vorn sitzt der Meister, dem stell ich euch vor.»
    Pfeifergeck schleppte sie zu einem älteren Mann, dem ein kostbares Samtbarett auf dem verfilzten Haar thronte.
    «Hab zwei Schlafgänger mitgebracht, Meister.»
    Der Mann sah auf und grinste. Er hatte keinen einzigen Zahn mehr im Mund.
    «Schönes Madl bist. Kommst aus besserem Stall als wir. Wie heißt du?»
    «Eva. Und das ist Niklas, mein Bruder.»
    «Hockt euch her und esst und trinkt.»
    «Aber wir haben kein Geld.»
    «Macht nichts. Wir halten’s wie die frommen Brüder vom heiligen Franz: Wir teilen auch das Geringste miteinander.»
    Das Weib neben ihm, nur wenig jünger, reichte ihnen Brot und einen Weinschlauch. Ihr Blick war voller Missgunst.
    «Habt Dank», murmelte Eva. Sie biss in das Brot, das frisch und würzig schmeckte, nahm einen tiefen Schluck von dem Wein und blickte sich um. «Wo habt ihr eure Herberge?»
    «Herberge!», gackerte das Weib

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