Die Vagabundin
sie, als sie Eva und Niklas einen Topf Gerstenbrei reichte. Sie hockten auf der Türschwelle, umringt von den barfüßigen, zerlumpten Kindern, die sie aus großen Augen anstarrten.
«Ihr seid gradwegs in der falschen Richtung unterwegs.» Die Frau machte eine Pause und sprach dann bedächtig weiter, als müsse sie jedes Wort neu bedenken. «Am besten gehts ihr von hier aus nach Amberg, dann alleweil die Vils abwärts in Richtung Donau. Und bleibt bloß auf dem Weg, wandert ja nie allein. Hier im Nordgau wimmelt’s von Wegelagerern. So, genug gegessen – schlafen könnt ihr im Ziegenstall.»
Niklas’ Einfall mit dem Holzsammeln erwies sich als ein wahrer Segen. Die nächsten Tage klaubten sie immer so viel Kleinholz auf, wie sie in Evas Mantel und Niklas’ Tuch bündeln konnten, und tauschten es gegen eine Brotzeit oder eine Strohschütte zum Schlafen ein. Der Menschenschlag in dieser rauen Gegend war knorrig und wortkarg, nichtsdestoweniger wurden sie nicht ein einziges Mal der Tür verwiesen. So wanderten sie mit ihren Holzbündeln über der Schulter von Hof zu Hof, von Flecken zu Flecken, immer darauf bedacht, sich unterwegs irgendwelchen Bauersleuten oder Knechten anzuschließen. Von einer alten Frau nämlich hatten sie erfahren, dass erst wenige Tage zuvor bei einer Hammerschmiede ein Kessler überfallen worden war. Splitternackt und mit gespaltenem Schädel hatte man ihn unter einem Busch gefunden.
Am vierten Tag dann fand ihre Glückssträhne ein Ende. Gegen Mittag hatten sie sich ein gutes Stück in den Wald hineingewagt, da am Wegesrand kein Brennholz mehr zu finden war, als ein Brüllen sie aufschreckte: «Lumpenpack!»
Im nächsten Moment krachte eine Feuerbüchse, so laut und so nah, dass ihr der Herzschlag aussetzte.
«Lauf, Niklas!», schrie Eva. «Zurück zum Weg!»
Noch zwei Mal hörte sie es krachen, während sie durchs Unterholz hetzte, dann hatte sie den Weg erreicht und warf sich in den schützenden Graben. Ihre Ohren schmerzten, als habe man ihr mit einem Prügel draufgeschlagen, Rocksaum und Schürze waren zerrissen.
Sie hob den Kopf. «Niklas?»
Ihr kleiner Bruder war nirgends zu sehen.
«Niklas!»
Da hörte sie es aus einem nahen Fischweiher plätschern, und kurz darauf tauchte Niklas vor ihr auf, mit schreckgeweiteten Augen, das Haar mit Moos und Schlick verklebt. Bis auf ein zerschrammtes Knie schien er unverletzt.
Sie weinte vor Erleichterung, als sie ihn in die Arme schloss. Dann zog sie ihm die nassen Kleider vom Leib und hängte sie in einen Baum zum Trocknen.
«Ich hab solche Angst», flüsterte er, als sie sich neben ihn in die Sonne setzte. «Das waren Mordbrenner. Eine ganze Bande.»
«Nein, mein Kleiner. Das war der Flurschütz. Das mit dem Holzsammeln hat nun jedenfalls ein Ende.»
«Aber was sollen wir jetzt machen?»
Eva zuckte die Schultern. «Ich weiß nicht.»
Vielleicht sollte sie ihren kostbaren Mantel verkaufen. Jetzt im Sommer brauchte sie ihn eigentlich nicht, und was danach kam, stand ohnehin in den Sternen. Hatte dieser widerliche Fettmilch nicht was von zwei bis drei Gulden gefaselt? Damit würden sie, ohne zu hungern, ganz gewiss bis Straubing kommen. Dann aber hörte sie Wenzel Edelmans Stimme:
Solche Dinge verkauft man nicht!
Mit einem Mal hatte sie alles gründlich satt. Warum nur waren sie nicht bei Wenzel Edelman geblieben? Wäre das denn die schlechteste Zukunft gewesen? Niklas hätte es gut gehabt, undder Schneider war kein schlechter Mensch, auch wenn er viel zu alt für sie war. Im Gegenteil: Er war der freundlichste, warmherzigste Mann, der ihr in den letzten Jahren begegnet war. Aber er war eben doch ein Mannsbild, mit all den schrecklichen Eigenschaften, die sie damit verband. Andererseits: Sollte sie nun zeit ihres Lebens eine ledige Jungfer bleiben? Wer würde sie versorgen, wenn sie krank wurde? Sie unterstützen in Alter und Einsamkeit? Wie ungerecht war doch diese Welt! Die Männer standen für sich selbst, durften über Frau und Kind herrschen, sich nehmen, was sie begehrten. Und sie als Frau durfte nicht einmal auf Erlösung nach dem Tod hoffen, wenn sie sich nicht als Mutter und Ehefrau bewährt hatte.
Am übernächsten Abend erreichten sie mit knurrendem Magen die fürstliche Residenzstadt Amberg. Bereits Stunden zuvor hatte sich die Straße nach und nach mit Fuhrwerken und Handkarren, Reitern und Fußgängern gefüllt. Das Gedränge wurde immer dichter, und Eva, die eine kleine Stadt erwartet hatte, in der sie um ein
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