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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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sich. Alles ringsum schien sich zu drehen, als sich der Frühnebel langsam verzog. Am Himmel schwoll mitleidslos ein Feuerball, der seine Lichtfühler nach ihr streckte. Sie schlug sich eine Hand vor das Gesicht und spürte, wie ihr das helle Licht die Haut versengte. Ihr war, als schwebe ein riesiges Vergrößerungsglas über ihrem Kopf, das die Sonnenstrahlen bündelte, um sie zu verbrennen, wie ein kleiner Junge es mit einer Ameise tun würde.
    Ihre Hand schmerzte. Sie war tiefrot, wie ein gesottener Hummer. Die Haut juckte fürchterlich und barst. Eine dunkle Rauchfahne stieg aus dem Riss hervor. Sie stieß sich fort von dem Laternenpfahl und lief über unsicheres Gelände davon. Ihr Mantel flatterte im Wind. Die Luft zerrte an ihren Fesseln wie sumpfiges Wasser. Sie hustete und spuckte Blut. Sie hatte dem Mädchen zu viel entnommen und bezahlte nun den Preis für ihre Gier.
    Die Sonne brannte lichterloh aufs Pflaster und tauchte alles in grell schimmerndes Knochenweiß. Selbst wenn sie die Augen fest geschlossen hielt, wollte ihr peinigendes Licht den Schädel sprengen. Schon glaubte sie, dass sie die Caversham Street nie und nimmer sicher erreichen werde. Sie würde ins Straucheln geraten, auf die Straße stürzen und sich in ein qualmendes Aschehäuflein verwandeln, begraben unter Arts faltenreichem Mantel.
    Ihr Gesicht war angespannt, als klebe es an ihrem Schädel. Niemals hätte sie sich am ersten Tag, den sie als Neugeborene verbrachte, hinaus in die Sonne wagen dürfen. Jemand versperrte ihr den Weg, und sie stieß ihn grob beiseite. Sie war trotz allem stark und schnell. Sie lief gebeugt, die Sonne versengte ihr den
Rücken, erhitzte ihren Leib selbst durch Mantel, Rock und Hemd. Steif und verschrumpft, entblößten ihre Lippen spitze Zähne. Jeder Schritt schmerzte, als hüpfe sie über einen Wald aus Rasierklingen dahin. Nichts dergleichen hatte sie erwartet …
     
    … allein ihrem Instinkt war es zu danken, dass sie zu ihrer Straße, ihrer Haustüre gefunden hatte. Sie tastete ungeschickt nach dem Glockenzug und stemmte einen Fuß unter den Stiefelknecht, damit sie nicht aus dem Gleichgewicht geriet und rückwärts die Stufen hinunterstürzte. Wenn sie nicht sofort in den kühlenden Schatten des Hauses gelangte, musste sie sterben. Sie lehnte sich gegen die Tür und hieb mit geballten Fäusten gegen das Holz.
    »Mutter, Mutter«, krächzte sie. Sie hörte sich an wie ein steinaltes Weib.
    Die Tür ging auf, und sie sank in die Arme von Mrs. Yeovil, ihrer Haushälterin. Doch die Bedienstete erkannte Penelope nicht und wollte sie gleich wieder ins grausame Tageslicht hinausstoßen.
    »Nein«, sagte ihre Mutter. »Das ist Penny. Sehen Sie nur …«
    Mrs. Yeovil riss die Augen auf; in ihrem Schrecken erblickte Penelope ihr Abbild deutlicher als in nur je einem Spiegel.
    »Grundgütiger«, rief die Bedienstete aus.
    Mutter und Mrs. Yeovil halfen ihr in den Flur, und die Tür fiel krachend ins Schloss. Noch immer sickerte stechender Schmerz durch die buntfarbige Lünette, doch das Schlimmste lag nun hinter ihr. Träge hing sie in den Armen der beiden Frauen. Eine dritte Person befand sich auf dem Flur, sie stand in der Tür zum Gesellschaftszimmer.
    »Penelope? Mein Gott, Penelope!« Es war Charles. »Sie ist verwandelt, Mrs. Churchward«, sagte er.
    Einen kleinen Augenblick lang wusste sie, warum, wofür sie all das unternommen hatte. Sie wollte es ihm sagen, brachte jedoch nur einen Zischlaut über ihre Lippen.

    »Nicht sprechen, Liebes«, sagte ihre Mutter. »Es wird alles wieder gut.«
    »Schaffen Sie sie an einen dunklen Ort«, meinte Charles.
    »In den Keller?«
    »Ja, in den Keller.«
    Er zog die Tür unter der Treppe auf, und die Frauen trugen sie hinab in den Weinkeller ihres Vaters. Hier war es stockfinster, und plötzlich spürte sie am ganzen Leib lindernde Kühle. Das Brennen ließ nach. Zwar litt sie noch immer Schmerzen, doch hatte sie nun nicht mehr das Gefühl, sogleich explodieren zu müssen.
    »O Penny, meine arme Kleine«, sagte ihre Mutter und legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Du siehst so …«
    Der Satz verhallte, und sie betteten Penelope auf den blitzblanken, kalten Stein. Sie wollte sich aufsetzen und Charles verfluchen.
    »Ruh dich aus«, sagte er.
    Sie pressten Penelope zu Boden, und sie schloss die Augen. Die Dunkelheit in ihrem Kopf war berstend rot.

39
    Aus der Hölle
    17. OKTOBER
     
     
    I ch halte Mary Kelly aus. Sie ist meiner Lucy, der verwandelten Lucy, ja so

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