Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
zaghaft verkehrten Blumen geschmücktes Fries zierte die Wände. Aus der Scheuerleiste ragten kopfüber Gaslampen hervor, deren bläuliche Flammen gegen den getünchten Fußboden hin schossen.

    Die Flammen wuchsen, bis sie nichts anderes mehr sehen konnte. Das Fieber hatte ihr Gehirn befallen. In den Flammen erblickte sie einen Mann und eine Frau in inniger Umarmung. Er trug Abendgarderobe, sie hingegen war nackt und blutverschmiert. Die Gesichter gehörten Charles und Pamela. Dann verwandelte sich das Gesicht ihrer Cousine in das ihre, und Charles wurde zu Art. Sie waren in Flammen gehüllt. Das Bild verweilte einen Augenblick, dann verschwamm es, bis die Gesichter nicht mehr zu erkennen waren. Sie brannten und verschmolzen miteinander, bildeten ein einziges pelzbewachsenes Antlitz mit vier Augen und zwei Mündern. Das geballte Feuergesicht wuchs und verzehrte sie mit Haut und Haaren.
    »Penny bis in alle Ewigkeit«, hatte sie als Kind oftmals gerufen. »Lang lebe Penelope.«
    Die Flamme war überall …
     
    … unter jähem Schaudern erwachte sie. Ihr ganzer Körper kribbelte, und die Kleider zerkratzten ihr die empfindliche Haut.
    Sie setzte sich auf und brachte ihr Aussehen in Ordnung. Die Erinnerung an die Verwandlung verblasste schnell. Vorsichtig betastete sie Hals und Brust, konnte jedoch nicht die geringste Spur der Wunden entdecken, die Art ihr beigebracht hatte.
    Der Raum war heller als zuvor, und sie richtete den Blick in einen schattigen Winkel. Sie sah die Dinge mit anderen Augen. Sie erkannte feinere Farbnuancen. Und konnte mehr Gerüche unterscheiden. Das odeur ihrer körperlichen Ausscheidungen war ihr deutlich wahrnehmbar, aber nicht unangenehm. Sie hatte den Eindruck, als seien all ihre Sinne geschärft. Ihre Zunge sehnte sich danach, Neues zu schmecken. Sie verlangte nach Experimenten.
    Penelope erhob sich und tappelte auf bestrumpften Füßchen ins Badezimmer. Einen Spiegel gab es hier natürlich nicht. Sie legte
ihre besudelten Kleider ab und säuberte sich mit dem zerknäulten Unterrock. Dann wusch sie sich von Kopf bis Fuß. In ihrem früheren Leben war sie nur selten gänzlich nackt gewesen. Ihr altes Ich schien wie ein Traum. Sie war neugeboren. Als sie sauber war wie nur je eine Katze, verließ sie zufrieden das Badezimmer. Sie brauchte Kleider. Der Anzug ihrer warmblütigen Vergangenheit war nun nutzlos, von nutzlosem Blut durchweicht.
    In einem der anderen am Flur gelegenen Räume regte sich etwas, und mit einem Mal war sie hellwach. Sie ließ die Zunge über ihre spitzen Zähne gleiten. Eine Tür öffnete sich, und ein schmales Gesicht lugte daraus hervor. Entsetzt wegen ihrer Nacktheit schluckte Arts Diener, zog den Kopf wieder zurück und verriegelte die Tür. Lachend krümmte sie die Finger und überlegte, ob sie die Tür aufsprengen sollte, um an das Mannsbild zu gelangen. Sie roch sein warmes Blut. »Fee, fi, fo, fum«, flüsterte sie, und ihre Stimme dröhnte laut in ihrem Kopf.
    Hinter einer der Türen fand sie Arts Ankleidezimmer. Seine Morgengarderobe lag schon für ihn bereit. Früher war ihr Wuchs zumeist ein Hindernis gewesen. Ihre Mutter hatte sie angehalten, sich so oft wie möglich zu setzen und, ohne sich gebückt zu halten, ihre Erscheinung so zu ordnen, dass sie einen Mann nicht überragte. Nun jedoch kam ihre Größe ihr zustatten.
    Sie schlüpfte in Arts Hemd und knöpfte es zu. Sie meisterte die Verzwacktheiten von Kragen und Manschetten ohne Mühe. Ihre Finger waren jetzt geschickter und vermochten jede Aufgabe mit Leichtigkeit zu lösen. Sie warf Arts Unterkleider beiseite, stieg in seine Hosen und machte sich so lange an den ungewohnten Trägern zu schaffen, bis sie die grotesken Gebilde auf ihre Schultern bugsiert hatte. Das Beinkleid schlabberte um ihre Hüften, und sie zog daran, bis es im Schritt behaglich saß, dann verkürzte sie die Hosenträger auf bequeme Länge. Sie fand eine Halsbinde und schlang sie um den viel zu weiten Kragen. Wams und Gehrock
komplettierten das ensemble. Barfuß kehrte sie in den Salon zurück, wo sie sich verwandelt hatte. Ihre Schuhe lagen unter dem Diwan und passten ihr wie eh und je. Sie machte gewiss eine stattliche Figur. Was wohl ihr Verlobter davon halten mochte?
    Während sie sich mit den Fingern durch das Haar strich, überlegte sie, ob sie etwas unternehmen sollte, das sie nicht allzu furchterregend aussehen ließ. Eigentlich jedoch scherte sie ihr Äußeres kein bisschen. Die tote Penelope wäre vor lauter Schreck in

Weitere Kostenlose Bücher