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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Zweifellos von schwachem Charakter, ließe sie sich im kommenden Jahrhundert mit Leichtigkeit zu einer fügsamen Anhängerin formen.
    Das Mädchen schaute verwundert drein; der Kopf wollte ihr
vor Abscheu überquellen. »Pardon«, sagte sie, »da habe ich mich wohl geirrt.«
    Sie hatte sich verändert seit ihrer Verwandlung. Godalming hatte Kate Reed gefährlich unterschätzt. Sie hatte ihn mühelos durchschaut. Seine Gedanken standen ihm gleichsam ins Gesicht geschrieben oder beherrschten ihn so sehr, dass selbst eine armselige Neugeborene sie mit Leichtigkeit entziffern konnte. Er musste sich in Acht nehmen. Das Mädchen ging rasch davon, lief beinahe. Sie würde sich seinen Gefälligkeiten in naher Zukunft nicht sehr aufgeschlossen zeigen. Und wenn schon, er hatte Zeit. Eines Tages würde er sie besitzen. So viel stand fest.
    Er begann von neuem zu pfeifen, doch die Melodie klang schrill und falsch in seinen Ohren. Zornig musste er sich eingestehen, dass Kate Reed ihn aus der Fassung gebracht hatte. Er war so sehr mit seinen neuen Fähigkeiten und Empfindungen beschäftigt, dass er die Maske abgeworfen hatte, die er nicht erst seit seiner Verwandlung trug. Er hatte sein wahres Gesicht preisgegeben, und das war unverzeihlich. Sein Vater, sein leiblicher Vater, hätte ihm eine ordentliche Tracht Prügel dafür verabreicht, dass er sich auf derart eklatante Weise in die Karten hatte sehen lassen.
    Er wollte Menschen um sich haben, in der Menge untertauchen. Gegenüber befand sich ein Pub, die Ten Bells. Vielleicht ließe sich dort ein Frauenzimmer finden. Er ging quer über die Straße, wich einem Karren aus und zwängte sich durch die Wirtshaustür …
     
    … obgleich sich der eine oder andere Warmblüter unter den Gästen befand, wurden die Ten Bells vorwiegend von Vampiren frequentiert. Godalming widerstand den dürftigen Verlockungen eines Humpens Schweineblut und schloss stattdessen Bekanntschaft mit zwei neugeborenen Huren. Abgesehen von seiner Beute würde ihn jedermann für einen sensationslüsternen Murgatroyd
aus dem West End halten. Angetan mit seinem üppigsten Rüschenhemd und einer überaus knapp sitzenden Jacke, erweckte er den Anschein eines blutgierigen, hohlköpfigen Poseurs.
    Die Huren hießen Nell und Marie Jeanette; sie waren von Gin und Schweineblut ordentlich benebelt. Nell schien am ganzen Leib mit Haaren bewachsen, selbst ihr Gesicht war mit ruppigen roten Borsten überwuchert. Bei Marie Jeanette handelte es sich um eine Irländerin mit vernunftwidrigen Ansprüchen und neuen Kleidern. Sie war beinahe hübsch zu nennen und hatte für den späteren Abend eine Verabredung getroffen, vermutlich mit einem begüterten Verehrer. Während sie sich lediglich die Zeit vertrieb, befand Nell sich offenkundig auf der Pirsch und gab sich allergrößte Mühe, ihr Interesse zu bekunden, indem sie dann und wann seine imposante Erscheinung und ausnehmende Geistesschärfe lobte. Er tat sein Bestes, den Eindruck eines volltrunkenen, affektierten Idioten zu vermitteln.
    Nell entwarf die scheinbar verlockende Aussicht auf ein fideles Dreigespann. Sie schlug vor, sich gemeinsam in ihr nahe gelegenes Zimmer zu begeben, wo er sich mit beiden Huren zugleich vergnügen und all seine Wünsche in einem Bette befriedigen könne. Unentwegt strich ihre zottige Wange wie ein Pinsel über sein Gesicht, und ihr animalischer Moschusgeruch stieg ihm in die Nase.
    »Du muss’ mich bloß richtich pinseln, Artie«, sagte sie, indem sie mit der Hand über den Pelz an ihrem Arm fuhr, der sich jedoch sogleich von neuem sträubte. »Je nachdem, wie de’s am liebsten magst.«
    Er blickte sich im Pub um und sah einen Mann am Tresen stehen, der dem Schankraum den Rücken zukehrte. In einer Woge der Erregung überfiel Godalming die Erkenntnis. Er schmiegte sich so dicht an Nells Hals, dass sein Gesicht im Schatten lag. Mit einem Humpen Schweineblut in der Hand wandte der Mann sich
um, stemmte einen Absatz hinter die Fußleiste und ließ forschende Blicke durch den Schankraum streifen. Es war der Sergeant. Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, worauf er sich die blutigen Reste mit dem Handrücken aus dem Schnurrbart wischte. Zwar trug er anstelle seiner Polizeiuniform einen karierten Anzug, dennoch gab es nicht den geringsten Zweifel.
    »Der Mann dort am Tresen«, sagte Godalming, »mit dem albernen Schnurrbart. Hast du den schon mal gesehen? Sieh nicht so auffällig hin.«
    Wenn Nell bemerkt hatte, dass er mit einem Mal doppelt

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