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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Wie ein zweiter Alexander hatte er den Knoten zerschlagen; nun lagen die losen Enden verstreut am Boden, ohne Sinn und Zweck.
    Letzte Nacht, mit Charles, das war kein bloßer Aderlass gewesen. Trotz ihres Kummers berauschte sie sein Blut. Sie konnte ihn noch immer schmecken, noch immer in sich spüren.
    Der Kutscher öffnete die Klappe und sagte ihr, dies sei die Commercial Street.

50
    Vita brevis
    E r hegte keineswegs die Absicht, in einem Hansom vorzufahren und im abscheulichsten Winkel Londons umherzubummeln, als unternähme er einen Spaziergang über Piccadilly. Es gab ohnehin kaum einen Kutscher, der eine Fahrt ins Alte Jago wagte, aus Angst, sein Messing könne den Glanz verlieren, sein Fuhrlohn gestohlen und sein Zugpferd ausgeblutet werden. Schon bei seinem letzten Besuch in Whitechapel, im Gefolge von Sir Charles, hatte Godalming bemerkt, wie übervölkert dieses
Viertel war. Es bedurfte womöglich wochenlanger harter Arbeit, seinen Sergeant ausfindig zu machen, finden aber würde er den Mann gewiss. Nun, da Mackenzie tot war und Kostaki im Gefängnis saß, hatte er bei seiner Jagd keine Rivalen mehr zu fürchten. Er allein wusste um die Identität der Beute.
    Während er über die Commercial Street dahinschlenderte, pfiff Godalming die Arie »Geisterstund’ hat Gold im Mund« aus der Oper Ruddigore. Es bereitete ihm einige Mühe, die für einen Intimus Lord Ruthvens politisch nicht eben geschickt gewählte Melodie aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Überdies würde man ihm, wenn er erst einmal unumstößliche Beweise für eine Verschwörung des Diogenes-Clubs gegen den Prinzgemahl besaß, solcherlei Fehltritte zweifellos nachsehen. Seine einstige Verbindung zu Van Helsing würde aus seiner Akte getilgt. Er könnte sich sein Amt aussuchen. Arthur Holmwood befand sich auf dem Weg nach oben.
    Sein nächtliches Sehvermögen hatte sich merklich verbessert. Seine Fähigkeit zur Wahrnehmung stieg von Nacht zu Nacht. Der Nebel, der die Leute auf der Straße umhüllte, war für ihn nichts als ein schwacher Schleier. Er konnte eine unendliche Anzahl winziger Geräusche, Geschmäcker und Gerüche unterscheiden.
    Selbst wenn Ruthven ewig lebte, schien es unwahrscheinlich, dass er sich für alle Zeit die Gunst des Prinzgemahls bewahren konnte. Er war einfach zu launenhaft für einen Mann in seiner Position. Eines Tages würde er in Ungnade fallen. Wenn jener Tag gekommen war, würde dies Godalming in die Position versetzen, sich von seinem Gönner loszusagen. Wenn nicht gar dessen Amt zu übernehmen.
    Früher oder später benötigte er frisches Blut. Seine Begierde wuchs mit der Wachheit seiner Sinne. Hatte er es einst linkisch und tölpelhaft angestellt und die warmblütigen Bordellieren erst überrumpeln müssen, ehe er seine aufgeschwollenen, peinigenden
Zähne in sie schlagen konnte, war es ihm nun fast ein Leichtes, Warmblütern seinen Willen aufzuzwingen. Er brauchte seine Auserwählte nur noch kraft seiner Gedanken zu sich zu befehlen, und schon kam sie herbei und entblößte ihm zum Vergnügen ihren Hals. Es lief wie am Schnürchen und erfüllte ihn mit außerordentlichem Entzücken. Er verfeinerte seine Methode, so dass er die Wonnen des Aderlasses nach Herzenslust genießen konnte.
    Es war an der Zeit, weitere Frauen zu verwandeln, wie Penelope Churchward. Er würde Konkubinen, Stubenhilfen, Dienstmädchen benötigen. Jeder Älteste von Rang und Ansehen hatte Gefolge, willfährige Nachkommen, die den Interessen ihres Herrn und Meisters dienten. Zum ersten Mal fragte er sich, wie es der neugeborenen Penny wohl ergangen sein mochte. Sie hatte ihm einen Anzug gestohlen. Er musste sie ausfindig und sich gefügig machen.
    »Art?«, ertönte die Stimme eines gebildeten Mädchens. »Nanu, das ist doch Lord Godalming, oder?«
    Beim Anblick des Mädchens fiel er aus allen Wolken. Ihm war, als würde er von einem Berggipfel in einen schlammigen Graben hinabgezerrt; es schmerzte, sich nach solch kolossalen Aussichten mit derlei lachhaften Lappalien abgeben zu müssen.
    »Miss Reed«, schnurrte er, »was für eine freudige Überraschung.«
    Kate Reed blickte ihn verwundert, ja beinahe entsetzt an. Er erwog, sie zur Ader zu lassen, war dafür aber noch nicht bereit. Vampirblut wirkte berauschend. Nur wahrhafte Älteste konnten sich allein von diesem Saft ernähren, indem sie von ihren Vasallen den Blutzoll forderten. Noch mangelte es ihm an Kraft, doch Kate hatte gewiss das Zeug zu einer passablen Vasallin.

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