Die Vampire
können, doch - ganz der Staatsmann - zögerte er einen Augenblick, ehe er schließlich beiseitetrat.
»Sehr klug, Mylord«, raunte sie ihm zu.
Ruthven zuckte mit den Achseln. Er wusste, dass das Empire am Boden lag. Vermutlich würde er sich fortan auf sein Überleben konzentrieren. Die Ältesten waren in der Überlebenskunst bewandert.
Merrick hielt ihnen die Tür auf. Im Vorzimmer trafen sie auf eine bestürzte Mina Harker, starr vor Schreck. Alles war eifrig bemüht, mit den raschen Veränderungen Schritt zu halten. Einige Höflinge hatten es aufgegeben und wandten sich wieder ihren Vergnügungen zu.
Draculas Schatten wuchs, sein Zorn umfing sie wie ein Nebel.
Geneviève half Charles aus dem Thronsaal. Sie leckte ihm das Blut vom Gesicht und tastete nach seinem Herzschlag. Gemeinsam würden sie mächtig einherreiten auf diesem Sturm.
»Ich konnte es dir nicht sagen«, versuchte er ihr zu erklären.
Sie brachte ihn zum Schweigen.
Merrick verriegelte die Tür und stemmte seinen gewaltigen Rücken dagegen. Er stieß ein langgezogenes Heulen aus, das sie als »Fort hier!« deutete. Von innen donnerte etwas gegen die Tür, und eine klauenbewehrte Hand schlug oberhalb von Merricks Kopf, zwölf Fuß hoch über dem Boden, ein Loch in das Paneel. Die Hand ballte sich zur Faust und vergrößerte die Öffnung. Die Tür erbebte, als werfe ein Nashorn sich dagegen. Eine der Angeln platzte krachend aus dem Holz.
Sie grüßte Merrick zum Abschied und humpelte mit Charles davon …
… er zwang sich, nicht zurückzublicken.
Im Laufen hörte Beauregard, wie die Türe hinter ihnen barst und Merrick von herabstürzendem Holz und stampfenden Fußtritten zermalmt wurde. Einer unter vielen malträtierten Helden, deren schnelles Schicksal keine Zeit zur Trauer ließ.
Sie schleppten sich vorbei an Mina Harker und gelangten in den Empfangssaal, der von Vampiren in Livree bevölkert war. Ein Dutzend verschiedener Gerüchte machte hier die Runde.
Geneviève zog ihn mit sich fort.
Er hörte die donnernden Schritte ihres Verfolgers. Trotz des Stiefelgeklappers vernahm er deutlich einen Flügelschlag. Eine Bö von riesenhaften Schwingen streifte ihn.
Verwirrte Wachen ließen sie durch das Palastportal …
… ihr Herz raste. Die Kutsche war selbstredend verschwunden. Sie würden sich zu Fuß durchschlagen und in der Menge untertauchen müssen. In der bevölkerungsreichsten Stadt der Welt konnte es nicht allzu schwierig sein, sich zu verstecken.
Während sie noch die breite Treppe hinunterstolperten, näherte sich im Eilschritt ein Kader von Karpatern; ihre Säbel klirrten.
Ihr Anführer war der General, hinter dessen Rücken man sich nichts als Witze über ihn erzählte: Iorga.
»Schnell«, rief Geneviève, »der Prinzgemahl, die Königin! Sonst ist alles verloren!«
Iorga schien gar nicht erfreut über die Nachricht, dass ein Unbekannter seinem Generalissimus ans Leder wollte, und suchte eine entschlossene Miene aufzusetzen. Der Kader stürmte im Laufschritt durch das Portal, als Draculas Gefolgschaft hinaus ins Freie drängte. Bis die Karpater wussten, wie ihnen geschah, wären sie längst durch das Tor.
Charles, dessen Kraft allmählich schwand, wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht. Sie nahm seinen Arm, und hinkend rannten sie fort von dem lärmenden Gewimmel.
»Gené, Gené, Gené«, murmelte er, den Mund voller Blut.
»Schsch«, machte sie und zerrte ihn vorwärts. »Wir müssen uns beeilen.«
… Warmblüter wie Untote strömten aus allen Himmelsrichtungen herbei. Der Palast wurde gleichzeitig verteidigt und gestürmt. Im Park sang ein Chor von Protestierern Hymnen und versperrte einer Feuerspritze den Weg. Überall in den Anlagen liefen Pferde frei umher und wirbelten Kieselwolken auf.
Er musste Atem schöpfen. Seinen Arm fest umklammernd, ließ Geneviève ihn innehalten. Als er stehen blieb, spürte er, welch eine derbe Tracht Prügel er bezogen hatte. Er stützte sich auf seinen bloßen Degen und sog gierig kalte Luft in seine Lungen. Er litt an Geist und Körper. Ihm war, als sei er im Thronsaal gestorben und nun als ektoplasmische Form zurückgekehrt, befreit von der Last irdischen Fleisches.
Vor ihnen erklommen Menschen die Tore des Palastes. Unter dem Gewicht der Massen schwangen sie auf und schlugen zwei Gardisten zu Boden. Dieser Aufruhr konnte kaum gelegener
kommen. Der Diogenes-Club trug Sorge für die Seinen. Oder der Limehouse-Ring hatte sich für Beauregard ins Zeug gelegt. Oder
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