Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman

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einen Verehrer niedermachte. Alte Vampirschlampen wie sie sind leidenschaftlich, aber grausam. Des Weiteren standen auf der Gästeliste: Sadie Thompson, eine amerikanische Abenteurerin mit toten schwarzen Augen; der Baron
Meinster, ein goldhaariger, mädchenhafter Lebemann; Faustina, die größte Zierde eines venezianischen Bordells; sowie eine elegante Älteste namens Lemora. Wir waren recht gewandte und erfahrene Huren, aber wir hatten noch etwas gemein. Wir alle waren Abkömmlinge Draculas.«

    Draußen brach die Dämmerung herein. Bäume säumten die Eisenbahngeleise, viele von ihnen verkrüppelt und zerschossen. Die Felder waren grau, eine dünne Schneeschicht überlagerte den Schlamm. Der Zug näherte sich Amiens. Winthrop hörte das ununterbrochene Stottern der Geschütze. Im Zwielicht zuckte Drummond kaum merklich zusammen und zog das Rouleau herunter.
    Jedes Schulkind wusste, dass die Verbreitung des Vampirismus in der zivilisierten Welt fast ausschließlich auf Dracula zurückging. Bis in die achtziger Jahre hinein hatten nur ein paar versprengte, abergläubische Seelen tatsächlich an die Existenz der Untoten geglaubt. Dracula hatte die Karten neu gemischt. Obgleich er der Urvater des Vampirismus war, hatte er weitaus weniger direkte Nachkommen, als die meisten Leute annahmen. Während seiner Zeit in England hatte er lediglich drei Frauen verwandelt: Lucy Westenra, Wilhelmina Harker und Königin Viktoria. Die inzwischen rehabilitierte, reuige Mrs. Harker hatte er zu seinem verlängerten Zahn gemacht, um seinen Stammbaum en gros zu erweitern.

Viele gaben sich als Draculas Nachkommen aus, obschon sie allenfalls seinem Geblüt angehörten und nur um sieben Ecken mit ihm verwandt waren. Wenn sich so viele seines Schlages an einem Ort zusammenfanden, war da bestimmt etwas im Busch.

    »Baron Meinster und Lady Lemora befanden sich gegen ihren Willen im Château. Nur einer konnte solche Macht über die Ältesten
besitzen. Wie ich schon sagte, entlässt unser Fangvater seine Nachkommen nicht in die Freiheit. Wir werden auf ewig seine Sklaven sein.
    Es kam mir seltsam vor, dass man uns hier versammelt hatte. Ich hatte den Eindruck, dass die meisten, wenn auch nicht alle Flieger, selbst Vampire waren. Ein Viehwagen voller beherzter Huren mit warmem Blut von lieblichem Aroma wäre gewiss ein angemessenerer Lohn gewesen für ihre kühnen Taten. Derlei Dirnen sind leicht zu finden. Die Alliierten nähren ihre Helden zweifelsohne nach derselben Methode …«

    Soviel Winthrop wusste, entsprach dies nicht der Wahrheit.

    »Schlag Mitternacht - eine gebührend melodramatische Note - wurden wir von livrierten Dienern in die Große Halle geleitet. Die Männer des JG1 hatten in vollem Ornat vor dem riesigen Kamin Aufstellung genommen. Im Gegenlicht der bloßen Flammen wirkten die Flieger wie Halbgötter, genau wie die Presse sie beschrieb. Manch eine breite Brust bot kaum ausreichend Platz für die ungeheure Ansammlung von Ehrenzeichen. Hier waren Pour le Mérites ebenso häufig anzutreffen wie Messingknöpfe. Merkwürdig nur, dass der Zirkus ausstaffiert war, als ginge es zur Musterung, und nicht, wie ich, offen gesagt, erwartet hatte, zu einer Orgie.
    General Karnstein stellte uns der Gesellschaft einen nach dem anderen vor. Dann trat ten Brincken zwischen uns, in der Hand ein Schreibbrett mit einer seiner infernalischen Listen. Wie ein Tanzmeister stellte er uns paarweise zusammen. Die Thompson wurde einem Gierschlund namens Bruno Stachel zugeteilt; Faustina gesellte sich zu Erich von Stalhein, Meinster zu einem schwerblütigen Flieger namens Friedrich Murnau, der die Gesellschaft von Knaben vorzog, und Lemora zu von Emmelman.
Ten Brincken ging zu Werke wie ein Schweinemäster, der über ein Zuchtexperiment die Aufsicht führt.
    Als ich an die Reihe kam, wurde ich Manfred von Richthofen dargeboten. Ich vermute, dies bestätigt meinen Rang als Deutschlands erste Dirne. Aber der Baron fand die Aussicht auf meine Dienste nicht sonderlich verlockend. Die anderen Piloten machten bewundernde Bemerkungen oder stießen Laute der Begeisterung hervor, als man ihnen ihre Tanzpartner zuwies. Ein oder zwei Paare - unter ihnen Meinster und sein flatterhafter Flieger - umarmten sich bereits und ließen einander sanft zur Ader. Diese unverschämte Zügellosigkeit brachte ten Brinckens Blut in Wallung, wenn auch nicht so sehr wie die kühle Abweisung des Barons. Ich muss gestehen, ich war etwas erstaunt, um nicht zu sagen