Die Vampire
Ewers.
Doch Poe ließ sich nicht beirren. Es war längst Liebe. Er bekam den Mund nicht zu, seine Schneidezähne waren ihm im Weg. Gurrend versuchte er das Mädchen zu besänftigen. Seine wilde Miene schien ihr keine Angst zu machen.
»Beeilen Sie sich, Poe. Beißen Sie die Hure, und damit Schluss.«
Poe brachte Ewers mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen. Es zog ihn in die Dunkelheit, auf die Knie. Durch seine dünnen Hosen spürte er das Pflaster. In den Fugen hatten sich harte Eiskrusten gebildet. Das Mädchen sank in seine Arme und küsste ihn sanft auf Wange und Mund. Sie schmeckte wie Feuer. Von seinen Gefühlen übermannt, zerrte er ihren Kopf in den Nacken und setzte seine Lippen an ihren pulsierenden Hals. Alte Wunden rissen auf, als seine Fangzähne ihre zarte Haut durchdrangen. Süßes Blut sickerte in seinen Mund, umspülte seine Zunge.
Er trank, begierig und erregt. Das Kind wand sich in seiner Umarmung. Während er saugte, erkannte er sie. Sie hieß Gilberte, doch ihre Familie nannte sie nur Gigi. Er sah, wie man ihren Vater erschossen hatte, wie ihre Mutter davongelaufen war. Er sah sie in den Armen anderer, sah sie andere Vampire säugen. Ihr kurzes Leben war eine herrliche Tragödie. Ihr Blut war die reinste Poesie.
»Vorsicht, sonst bringen Sie das kleine Biest noch um«, warnte Ewers, legte Poe eine Hand auf die Schulter und zog ihn von ihr fort.
Widerstrebend ließ Poe von der quellenden Wunde ab. Obgleich das Blut des Kindes ihn noch immer wärmte und ergötzte, war er von Scham und Reue überwältigt. Sein Gesicht war tränenüberströmt.
»Wenn sie stirbt, ist hier der Teufel los«, sagte Ewers.
Poe blickte in das Gesicht des Mädchens. Ihre Miene war ausdruckslos und leer, doch er spürte ihren Hass, ihre Verachtung. Gigi lag kalt in seinen Armen. Sie war nicht tot, doch ihr Verstand hatte sich vorübergehend verflüchtigt, in den Tiefen ihres Körpers verkrochen, während sie die unwürdige Behandlung über sich ergehen ließ.
»Verflucht«, keuchte Ewers. »Das ist Ihre Schuld, Poe.«
Plötzlich packte Ewers die Blutgier. Poe hatte vergessen, dass auch der Deutsche ein Vampir war. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine Züge vergröberten sich. Stumpfe Fangzähne sprossen aus seinem ernsten Gesicht.
»Sie könnten wenigstens achtgeben, ob jemand kommt«, kommandierte Ewers.
Gigi hatte keine Angst. Nur seine immense Willenskraft und Ewers’ unablässiges Genörgel hatten Poe davor bewahrt, die Hure völlig auszubluten. Er fragte sich, ob Ewers sich ebenso gut würde beherrschen können wie er. Auch in Poes Vergangenheit war es zu ungewollten Tragödien gekommen. Mit der Zeit wurden alle Vampire zu Mördern, und Poe befürchtete, dass sie früher oder später sogar Gefallen am Morden finden würden.
Ewers stürzte sich auf das entsetzte Kind und riss den Kragen von ihrem blutüberströmten Hals. Er war ein Barbar, der sie mit Gewalt herauszugeben zwang, was Poe ihr sanft entlockt hatte.
Der Deutsche trank von dem sich windenden Mädchen. Er lag mit seinem ganzen Gewicht auf ihr. Sein Rücken hob und senkte sich. Ein verirrter Lichtstrahl erfasste zwei Knöpfe über seinen Rockschößen, und sie blitzten auf wie blinde Augen. Poe spielte mit dem Gedanken, Ewers einen gespitzten Holzpflock in den Rücken zu stoßen und sein totes Herz zu spießen.
Dieses Mädchen würde überleben, heute Nacht. Dafür würde Poe schon sorgen. Andere Mädchen, in anderen Nächten, würden sterben.
Während er so fraß und prasste, machte Ewers Geräusche wie ein Schwein. Sein Gesicht war blutverschmiert. In der Dunkelheit wurde das Rot zu Schwarz. Zum Glück war Gigi ohnmächtig geworden. Aus den klaffenden Wunden an Hals und Brust rann Blut.
Poe fasste Ewers an den Armen und zerrte ihn von ihr fort. Ein Krampf durchzuckte Ewers’ Körper, und er verlor das Bewusstsein. Poe wälzte ihn von ihr herunter. Er ließ ihn links liegen und kümmerte sich um die Kleine. Ihr Herzschlag ging schwach, aber regelmäßig. Sie würde wieder zu Kräften kommen. Er wiegte das Mädchen, sein Durst war gelöscht. Ihre Verbindung löste sich, Erinnerungen verschwanden im Nichts, trotzdem wollte er sie noch ein wenig hüten. Nur in diesen kurzen Augenblicken fand er Ruhe, inneren Frieden.
Kalte Zweifel nagten an seiner flüchtigen Zufriedenheit. Ewers wischte sich das Gesicht ab und stand auf. Schnaubend und polternd brachte er seine Kleider in Ordnung, mit pointierten kleinen Gesten. Trotz seines
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